"Ahl Männer, aalglatt", der Titeltrack der Scheibe, geht mit den führenden Köpfen Deutschlands und der Welt ins Gericht: Scheinheiligkeit, Selbstherrlichkeit und Inkompetenz wird den Regierenden vorgeworfen. Unverhohlen wird dabei vor allem auch Ronald Reagan auf's Korn genommen, dessen Politik der Stärke Niedecken als unüberlegt und gefährlich einschätzt. Dabei bleibt der Text jedoch auf der Ebene von Bildern "... wie Aape, die met jeladene Pistole neujierig hantiere ...", die diesmal in nur zwei Strophen verdichtet sind: Auf dieser LP ist kein Platz für mehr als drei Strophen. Musikalisch erinnert das Gitarrenriff an "Money for nothing" von den Dire Straits, fette Sythi-Streicher kleistern die Strophe zu - was bei Dire Straits und Queen funktioniert kann für BAP nicht schlecht sein.
Mit "Endlich allein" kommt nochmal ein Stück weit das wahre BAP-Gefühl auf: Eine straighte Rocknummer in Verbindung mit einem sehr persönlichen Text von Wolfgang Niedecken. Und auch ein erstes Indiz dafür, daß im Hause Niedecken auch nicht mehr alles Glückseligkeit ist. Der Zauber ist verflogen, das Bett ist kein Strand mehr auf einer Insel, Niedecken braucht Zeit für sich, um seine Gedanken zu ordnen: Das Tourleben ist mit den Ansprüchen, die seine junge Familie an ihn stellt, nicht mehr vereinbar. Es ist die Zeit, in der Niedecken von all dem überfordert ist, was ihm so erstrebenswert schien: BAP ist auf dem deutschen Rock-Olymp angekommen, die Konzerte nähern sich der 4-Stunden-Grenze, er ist mehr als die Hälfte des Jahres unterwegs mit seiner Band, und auf der anderen Seite ist da die Frau und der Sohn, die den Mann und Vater zuhause haben wollen - und Niedecken spült das alles täglich mit mehreren Flaschen Wein hinunter, um abends auf der Bühne den Kopf frei zu haben. Für mich der stärkste Song des Albums, weil textlich authentisch und musikalisch am wenigsten überkandidelt. Eine Duett-Version mit Anne Haigis, die ebenfalls für das Album aufgenommen wurde, wurde leider nie veröffentlicht.
"Lisa" ist eine Geschichte, die Niedecken in Ravensburg zugetragen wurde: Lisa, die mit dem bürgerlichen Leben des Elternhauses nicht klarkam, ins Drogenmileu abrutschte und zu jung schwanger wurde, endet in der Psychatrie, weil sie statt Hilfe und Zuwendung nur Ablehnung, Spott und Vorurteile von Familie und Umfeld bekam. Einer der Songs, die auch heute noch nichts von ihrer Kraft verloren haben, auch wenn die 1986er Studio-Fassung leider total überproduziert daherkommt. Kalte Synthesizer-Klänge, programmierte Shaker vom Drumcomputer, die cleane Gitarre kaum wahrnehmbar - ein typisches Produkt der 80er. Der Song wurde nur 1986-89 live gespielt und verschwand dann lange in der Versenkung, bis er für die "Zieht den Stecker"-Tour 2014 nach unzähligen Fan-Wünschen komplett neu arrangiert nun wieder im Live-Programm von BAP zu finden ist.
"Globus" beginnt als Walzer, um dann in den klassischen 4/4tel-Rock überzugehen. Hier darf die Gitarre wieder rocken, nachdem Synthi-Streicher/-Bläser und Piano das Intro gestaltet haben. Der Text dreht sich um einen als Mini-Globus gestalteten Bleistiftspitzer, auf dem Niedecken jede Menge Ungereimtheiten entdeckt:"... wenn ruut die Liebe, jröön die Hoffnung, wieso's Südafrika ruut, un wie zom Düvel kütt dann jröön op Amiland?". In Afghanistan kämpfen Mudschaheddin gegen sowjetische Besatzer, zwischen Irak und Iran tobt der Krieg zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahren, in Polen steht Lech Walesa unter Hausarrest, in Nicaragua unterstützen die USA die Contras:"Wo isch en och stoppe, ich erwisch nur Paradiese, en dänne irgenden Bescheißerei affjeht."
Mit "Breef ahn üch zwei" macht Niedecken nochmals eine Liebeserklärung an seine Frau Carmen, vielleicht ein letzter Versuch die Ehe zu retten, die zu diesem Zeitpunkt im Grunde schon gescheitert ist. Effendi's Klavier und fette Synthi-Streicher zaubern eine azurblaue Sommerstimmung, ein Melodiebogen auf einer Synthi-Mundharmonika erinnert schon fast an die Titelmelodie der Schwarzwaldklinik, Major's E-Gitarre zurückhaltend unter dem Refrain, dafür ein fingerfertiges sonnendurchflutetes Akustikgitarrensolo - der Song hätte auch als Titelmelodie für's Traumschiff getaugt, wenn nicht zum Schluß eine gewisse Dringlichkeit im gesprochenen Schlußteil anklingen würde, in dem Niedecken seine Frau ein letztesmal direkt anspricht.
"Bunte Trümmer" eröffnet Seite 2 des Albums mit einem wirren Gewitter von Synthi-Klängen und E-Drums, das sich erst ordnen muß, bis das Schlagzeug mit dem 4er-Rhythmus einsetzt und dem Song Konturen gibt. Das Intro von "One Vision" von Queen stand da wohl Pate. Dann entwickelt sich der Song trotz Synthi-Lärm in den Strophen doch noch zu einem ordentlichen Rocker, in dem Niedecken textlich den Scherbenhaufen seiner Ehe zusammenkehrt. Es sind die verzweifelten Bemühungen, etwas zu retten, was nicht zu retten ist. Ein paar Textzeilen stammen übrigens aus dem Song "Nie met Aljebra", der von der Band-Demokratie abgelehnt worden war, weil zu vielstrophig und zu ich-bezogen.
Der folgende Song "Time is Cash, Time is Money" ist für Niedecken wohl die bitterste Pille auf dem Album: Sein als bitterböse Glosse auf Pauschalreisen und All-inclusive-Club-Urlaube formulierter Text geht im Bacardi-Feeling der perfekt produzierten Reggae-Musik inclusive schwarzer Chorsängerinnen in seiner kritischen Absicht komplett unter und der Song wird tatsächlich zum Sommer-Hit des Jahres. Mit Herzblut geschriebene Texte mit Tiefgang wurden radikal abgewählt und dieser absolute Klischee-getränkte Blödsinn wird trotz viel zu langer vier Strophen zum großen Single-Erfolg! 20 Jahre später zum 30-jährigen Jubiläum wird der Song übrigens nochmal neu aufgenommen mit Culcha Candela als Gästen, die dem Reggae noch einen Schuß Hip-Hop verpassen.
"Halt mich fest" ist ein weiterer letzter Appell an Carmen, bei dem allerdings schon die Erkenntnis mitschwingt, daß die Beziehung nicht mehr zu retten ist. Eine Power-Ballade zwischen Synthi und E-Gitarre ganz im Stil der 80er. Der Song hätte auch von Phil Collins sein können.
"Almanya" kehrt zum Schluß des Albums zum Dauerthema Fremdenfeindlichkeit zurück und schildert die Geschichte türkischer Gastarbeiter, deren Arbeitskraft zu Zeiten der Vollbeschäftigung hochwillkommen war, aber die nie von der Gesellschaft als gleichwertige Mitbürger akzeptiert Fremde blieben, und denen am Ende nur die Rückkehr in die Heimat bleibt, weil Staat und Gesellschaft sie nur so lange dulden, wie ihre Arbeitkraft gebraucht wurde. Ein E-Drum-Rhythmus auf Synthi-Layern erinnert an den Takt von Maschinengeräuschen einer Fabrik in der ersten und letzten Strophe, dazwischen übernimmt Major's Gitarre die rockigen Strophen 2 und 3 und die Refrains.
Das "Ahl Männer" Album gilt in Fankreisen als einer der musikalischen Tiefpunkte der Band. Der Sound ist zum erstenmal von einem externen Produzenten geprägt und unterscheidet sich stark von dem bis dato gewohnten BAP-Sound und biedert sich dem Massengeschmack an. Textlich wurden Niedecken starke Einschränkungen auferlegt - nur wenige Songs auf diesem Album haben mehr als 2 Strophen, während Songs wie "Nie met Aljebra" von der Mehrheit der Bandkollegen ein Veto erhielten. Niedecken zog die Konsequenzen und nahm ein Jahr Auszeit, um mit befreundeten Musikern ein Solo-Album aufzunehmen, bei dem ihm niemand Vorschriften machen konnte, wieviele Strophen ein Text und wie lang ein Song werden durfte. Es wäre durchaus interessant zu erfahren, wie das von Niedecken gewünschte Doppelalbum in etwa ausgesehen hätte.
Die Remaster Bonus CD beschränkt sich hier auf 8 Live-Tracks, von denen allerdings 5 vom Anti-WAAhnsinns-Festival in Wackersdorf stammen, dabei zwei Songs von und mit Udo Lindenberg. Auch der Complizen-Song "Vatter" ist mit einer BAP Live Version vertreten.
Punkte: 7 / 10