War der Thrash der Schweden auf dem Debüt noch ziemlich ungestüm, roh und abwechslungsarm, schreiten die Jungs einige Jahre später auf "Unbound" deutlich gereift zur Tat, was in einem ausschließlich positiven Sinn gemeint ist. Sie haben ihre Energie und Bissigkeit nicht verloren, aber sie verstehen es nun besser, jene so zu kanalisieren, dass richtig gute, variantenreiche Songs herauskommen. Jedes Stück hat geniale nackenbrechende Thrash-Riffs und prägnante Leads. Bei all dem Inferno, das MERCILESS entfachen, schlagen immer wieder eingängige Melodiebögen durch. Das eine oder andere singende Solo, sowie akustische Intros und Zwischenspiele sorgen für eine gespenstische Atmosphäre. Dieses hinzugewonnene Gefühl für Melodien manifestiert sich bereits im akustischen Intro zum eröffnenden Titelstück, das sodann in ein meisterliches Riff-Festival übergeht und von einem majestätischen Refrain gekrönt wird. Besser kann man Thrash eigentlich nicht machen, und das setzt sich auf dieser Scheibe fort. Das schnelle 'The Land I Used To Walk' wird in bester alter KREATOR- oder DESTRUCTION-Manier runtergeholzt, ohne dabei die unkitschigen aber bemerkenswerten Melodien aus den Augen zu verlieren. Dazu Roggas unbarmherziges Shouten... eine wahre Freude! 'Feebleminded' setzt in Sachen Geschwindigkeit und Kompromisslosigkeit noch mal eins drauf, bevor das mächtige 'Back To North' das Tempo wieder drosselt, und dazu mit Hörspielelementen und klaren Chören gegen Ende eine epische Note einführt, die ein kleines bisschen an eine Thrash-Variante von BATHORY gemahnt. Das Stück profitiert vom guten Mix, der alle Instrumente klar herausarbeitet. So kann gerade das Basssolo toll wirken und allgemein sind die ausgedehnten Instrumentalpassagen dieses Stücks aller Ehren wert. Bei 'The Silent Truth' hacken die Jungs wieder aggressiver und kommen auch bei einigen Screams mit leichter SLAYER-Schlagseite aus den Boxen, krönen ihren Song aber im Gegensatz zu den Totschlägern mit einem sehr melodischen Solo. Eine etwas schwarzmetallischere Seite von MERCILESS begegnet uns dann bei 'Lost Eternally', das auch späteren schwedischen Kapellen im Schnittbereich aus Black, Thrash und Death Metal gut zu Gesicht stehen würde und das durch etliche unvorhergesehene Effekte, ein sehr dramatisch marschierendes Mittelstück und erneute cleane Backings besonderen Reiz entwickelt. Das Kontrastprogramm bietet der neu eingespielte Bandklassiker 'Nuclear Attack', der kurz und ungehobelt wie die alten SODOM aus den Boxen knüppelt, während der reguläre Abschlusstrack 'Forbidden Pleasure' sich ähnlich schnell, aber etwas rockiger und verspielter gibt, was hier und da ein kleines bisschen die Bay-Area-Szene - insbesondere die zweite EXODUS-Scheibe - in Erinnerung ruft.
Langer Rede kurzer Sinn: Schwedens beste Thrash-Metal-Band legte uns also 1994 mit "Unbound" ein königliches Album vor, das in seiner neuen Fassung um eine gelungene Coverversion von SLAYERs 'Crionics' erweitert wurde. Ein wenig schade ist, dass das schöne Kristian-Wåhlin-Cover farblich nicht ganz originalgetreu wiedergegeben ist, doch das lässt sich verschmerzen. Es überwiegt ganz klar die Freude, dass diese fast vergessene Thrash-Perle endlich wieder regulär erhältlich ist, denn selten bekamen wir im extremen Thrash so viele zündende Melodien und prägnante Refrains auf einmal aufgetischt. Definitiv essentiell für jeden spätberufenen Old-School-Thrasher.
Anspieltipps: Unbound, Back To North, Lost Eternally, Forbidden Pleasure
Rezension ursprünglich veröffentlicht unter:
http://powermetal.de/review/review-Merciless/Unbound,7939.html
P.S.: Das Review betrifft die Neuauflage mit geändertem Artwork. Die Note betrifft das Album als solches.
Punkte: 10 / 10