Ich hatte, um es vorsichtig auszudrücken, keine großen Erwartungen an das neue, mittlerweile vierzehnte Studioalbum. Ich wollte es wie in den letzten Jahren machen: Die Rosinen werden herausgepickt, der Rest verschwindet alsbald im riesigen Tori-Archiv - so mein Plan.
Doch Tori Amos anno 2014 hat sich an das Piano und ihre Stimme als tragende Elemente ihrer Songs erinnert - so denkt man, und das ist die eigentliche Sensation dieser Scheibe, bei fantastischen Gänsehauttracks wie "Wild Way", "Weatherman", "Selkie" oder "Invisible Boy" deutlich an die Atmosphäre, die "Little Earthquakes" und "Under The Pink" zu Klassikern gemacht haben. Das rührende Duett mit ihrer Tochter Tash ("Promise"), die schöne Liebeserklärung an das "andere" Amerika ("America"), die Liebeserklärung "Wedding Day", die NSA-Abrechung "Giant's Rolling Pin", das vom Maler Paul Cézanne inspirierte "16 Shades Of Blue", der lange, mit einem Widerhakenchorus versehene Titeltrack, ja, eigentlich alle anderen weiteren Songs zeigen, dass Tori Amos wirklich rein gar nichts verlernt hat und all ihre stilistischen Experimente ("Verzettelungen" meinten gar einige) der Vergangenheit genau so von ihr gewollt waren. Ob ihr Masterplan vorsah, irgendwann wieder bei der "Little Earthquakes"-Phase herauszukommen, vermag ich nicht zu sagen. Zuzutrauen wäre es ihr.
"Unrepentant Geraldines" ist eine Platte geworden, die eigentlich niemand auf der Rechnung haben konnte, denn so stark war Tori seit vielen, vielen Jahren nicht mehr (einzig erhofft hatte man es). Oder um mal ganz kurz ganz euphorisch zu werden: "Unrepentant Geraldines" ist ein Wahnsinnsalbum.
Punkte: 9 / 10