Ian Gillan verliess Deep Purple ende Juni 1973 nach kräftezerrenden, unendlichen Tour-Album-Strapazen, nach Bandinternen Problemen mit vor allem Ritchie Blackmore – und sein Episode Six-Kumpel wurde auch gleich ausgebotet! Zwar zog Bassist Roger Glover die Handbremse und kündigte selbst als er Wind von den miesen Machenschaften seiner Bandkollegen bekam, trotzdem fand somit das erfolgreiche und für viele Deep Purple-Fans einzig wahre Line-Up, genannt Mark II, sein Ende – „Who do we think we are“ war ein gutes, jedoch nicht sonderlich überragendes Endes des 2. Kapitels.
Man fand im jungen Trapeze-Bassisten/Sänger Glenn Hughes den Nachfolger für Roger Glover und holte David Coverdale, der den Leadsängerposten übernehmen soll, direkt aus einer Boutique, wo er als Verkäufer agierte. Zwar notierte Jon Lord Coverdales Namen schon 1969 nach einem gemeinsamen Gig mit dessen damaliger Band (Gillan war in jenen Tagen neu bei Deep Purple dabei, man wusste nicht, ob er sich bewähren sollte), jedoch hatte man das zum Zeitpunkt des eingeschickten und angehörten Coverdale-Demos, das eine Aufnahme seiner Band The Gouvernment demonstrierte, bereits wieder vergessen. Coverdale, dessen Bluesstimme ein bisschen an Ex-Free Sänger Paul Rogers erinnert - der geheime Favorit Ritchie Blackmores, der jedoch zu jener Zeit Bad Company aus der Taufe hob und deswegen Blackmore & Co. einen Korb gab – bestand die Prüfung bei der Audition, als er eine anscheinend wundervolle Darbietung des Beatles-Klassikers „Yesterday“ gab.
So stand das neue Line-Up – doch was haben wir da?
1. Einen 21-Jährigen Egomanen – Glenn Hughes – der sich selber für den besseren und geeigneteren Sänger hielt als der eigentliche Leadsänger, der gesanglich solieren wollte, jedoch einen feinen Bass zu spielen vermochte, dessen Vorlieben eher im Funk als Rock lagen.
2. Einen 22 jährigen, schüchternen, leicht übergewichtigen Jungen – David Coverdale - der erst mal via Amphetamine auf Diät gesetzt wurde um dem Purple-Erscheinungsbild zu entsprechen und dadurch ebenfalls zum Egomane wurde, einem Testosteron gesteuerten Kraftbrocken mit einer wunderbaren, sowohl kraftvollen als auch zärtlichen Stimme.
3. Einen etwas älteren Gitarristen – Ritchie Blackmore - von dem jeder weiss, was für ein Egomane und Egozentriker er ist und der eigentlich lieber eine neue Band gegründet hätte als bei Deep Purple zu spielen und so kurzum Deep Purple zu dem machte, was er sich unter einer neuen Band vorstellt.
4. Einen in der Klassik sich auslebenden, durch das hin und her ermüdeten und geschwächten Maestro – Jon Lord – der sich lieber seinen klassischen Solowerken widmen würde und gerne etwas mehr Harmonie und Ruhe in einer Band wünschte.
5. Und zuletzt den Drummer – Ian Paice – der eben solange mitspielt, bis das Licht ausgeht, bis keiner mehr kommt oder bis er gefeuert wird.
Nicht gerade die beste Grundvoraussetzungen für eine neue Platte – wenn auch durch die 2 Jünglinge sicher neue Motivation aus den 3 Gründungsmitgliedern gekitzelt werden konnte, neue Hoffnung und Kraft und nicht zuletzt wegen der eingeschlagenen musikalischen Umorientierung was interessantes zustande kommen könnte.
Ende 1973 traf man sich 2 Wochen zum Songschreiben. Hughes konnte zwar mitschreiben, doch aus vertraglichen Gründen durfte er bei den Credits nicht erwähnt werden, was ihn – sofern Bandintern nicht anders vertraglich vereinbart – um Tantiemen bringen wird.
Trotz Erschöpfung gelang es der Band wieder einige wunderbare, kraftvolle, sensationelle und wunderschöne Songs zu kredenzen.
Angeführt wird das Album sicher von dem titelgebenden Meisterwerk „Burn“; einer Granate mit einem kraftvollen, sehr effektiven und urtypischen Blackmore-Riff, wunderbaren Lord/Blackmore-Soli, die man so seit einer Ewigkeit vermisst hat; Geschwindigkeit und Melodie – Rock und Klassik, alles da. Ergänzt durch die beiden leidenschaftlichen Sänger, die in diesem Song harmonieren und viel Soul einzubringen vermögen – später sollte der immer nervigere Glenn Hughes in Live-Performances den Song komplett zersingen. „Burn“ ist meines Erachtens einer der allerbesten Tracks von Deep Purple, überhaupt etwas vom besten aus Ritchie Blackmores Feder und einer meiner alltime Favorite-Songs!
Ein weiterer Pfeiler des Albums ist die Groove-„Ballade“ „Sail away“; wunderbar! In der Mk II Besetzung wäre der Song SO undenkbar gewesen, obwohl er deutlich Blackmores Handschrift trägt; dieses Riff etwas schneller gespielt, das Tempo angezogen und aggressiver vorgetragen – man hätte einen typischen „Machine Head“-Song. Coverdale, bis dato ein Nobody, beweist eindrücklich und beseelt, dass er den Leadgesangsjob zurecht bekommen hat, selbst der effekterhaschende Hughes hält sich hier songdienlich zurück. Grosses Kino!!
Der 3. Eckpfeiler ist das groovende, auf purer Rhythmik basierende „You fool no one“; zweistimmig gesungen, voller Power und Tempo, dazu eine sensationelle Melodie. Ian Paice setzt gekonnte Akzente und leitet durch den knackigen Song. Hier stimmt alles.
Und dann bleibt noch „Mistreated“... Was soll man über diesen tieftraurigen Blues gross sagen? Am besten geniessen, Augen schliessen und auf sich wirken lassen. Gesanglich eine Glanzleistung, die David Coverdale hier abliefert! Ergänzt durch Ritchies grosse Gitarrenkunst, die sich im mehrstimmigen Outro voll zu entfalten vermag und Gänsehaut erzeugt. Ob der Song nun auf einer Idee von Coverdale basiert, wie er behauptet, oder ob Ritchie, seiner Aussage zufolge, den Song schon 1972 für ein Soloprojekt geschrieben hat, ausgelegt auf Paul Rogers Stimme – oder ob gar Glenn Hughes, der, diese Version ist die wohl unglaubhafteste, für sich einnimmt „Mistreated“ komponiert, oder zumindest die Idee gebracht zu haben, ist scheissegal. Hauptsache es gibt diesen wunderschönen Song, der live dann nochmals in andere Sphären abheben wird!
Zugegeben, dazwischen gibt es nicht mehr als „gewöhnliche“ Hausmannskost. „Might just take your life“ greift das altbekannte „Woman from Tokyo“-Riff auf, „Lay down stay down“ ist für mich der Tiefpunkt des Albums, was aber mitnichten heisst, dass der Song schlecht ist – nur eben einfach nicht so stark wie andere Tracks auf „Burn“.
„What’s goin’ on here“ ist ebenfalls gut gemacht, jedoch eben nicht von dem Kaliber eines „Burn“ oder „Mistreated“.
Und zum Schluss kommt Jon Lord, der sich weitgehendst zurück hält („Burn“ mal abgesehen) nochmals richtig zum Zug und setzt einen Moog ein um futuristische Klänge zu lancieren – Blackmore spielt ein gekonntes Solo darüber; „A 200“ – benannt, angeblich, nach einer Fusspilzsalbe... Guter Closer einer starken Scheibe, die bei meiner persönlichen Top 3 aller DP Alben mit „In Rock“ und „Fireball“ in bester Gesellschaft ist.
Vollkommen anders als „Who do we think we are“, Lichtjahre weg von „In Rock“ – dennoch ist „Burn“ eine wunderbare Auferstehung einer neuen Band, die anno 1974 nur einen Fehler hat; sie nennt sich Deep Purple!
Punkte: 9.5 / 10