Hochgradig emotionale Musik, wunderbar dargeboten von der Band in ihrer wohl stärksten Besetzung seit längerem mit Kammerorchester. Doch einfach so bei zehn Punkten kann ich es nicht belassen.
Anathema konzentrieren sich bei ihrem Auftritt im bulgarischen Plovdiv zum Großteil auf Songs der vorangegangenen Alben „We‘re Here Because We’re Here“ und „Weather Systems“ zusammen mit den Streichern des dortigen Orchesters. Das hat eine gewisse Konsequenz, konnte man sich doch mit eben jenen großartigen Werken stilistisch noch weiter öffnen und endgültig eine breitere Fanschicht erschließen neben den treuen Fans aus dem Metal-Lager. Allesamt tief gerührt auf den Rängen des Amphitheaters. Außerdem naheliegend, wurde hier doch schon mit den Streichern des London Session Orchestra zusammengearbeitet. Darauf konnte für den Auftritt aufgebaut werden. Aber so toll das auch ist, bleibt doch festzuhalten, dass hier aus den Streicherarrangements mehr hätte gemacht werden können. Meist bleiben sie schmückendes Beiwerk im Hintergrund und relativ unauffällig. Das ist schade, und ich versteh’s auch nicht so recht. Besonders gut zur Geltung kommen die klassischen Musiker „A Simple Mistake“ mit orientalischem Flair, bei „Universal“, hier ebenso unaufdringlich wie ungeheuer wirkungsvoll. Ergreifend! Dennoch: Wäre insgesamt sicher mehr möglich gewesen. Als wirkliche Kritik will ich das aber nicht verstanden wissen. Wahrscheinlich hat die Band ja doch Alles richtig gemacht.
Doch noch ein Punkt, den ich noch mehr bedauere: Die Liedauswahl. Wäre nicht auch hier mehr drin gewesen? Sprich, mehr von den älteren Scheiben. Stattdessen nichts von „The Silent Enigma“ und „Eternity“. Auch „Alternative 4“ und „Judgement“ sind nur spärlichst bedacht worden (Ich liebe diese vier Alben einfach). Da hätte man doch locker ein paar neue Arrangements schreiben können. Auch wenn man jetzt einwenden mag, das wäre halt ‘ne vergangene Phase im Schaffen der Band gewesen. Man denke nur an „Alone“ oder „Black Orchid“, und wie sich hier eine Umsetzung in neuer Form geradezu angeboten hätte. Das symphonische Element ist hier bereits in den Songs angelegt. Nicht umsonst findet sich auf der Compilation „Resonance“ bereits „The Silent Enigma“ in der orchestral version. Und nun sage keiner, „Sleepless“ hätte man nicht mit Streicher-Riffs veredeln können. Aber gut, genug Konjunktiv, die Band wollte halt nicht, das muss ich, das muss man so hinnehmen. Die musikalische Reise geht halt in eine andere Richtung.
Bei Anathema habe ich dennoch immer wieder das Gefühl, die könnten noch besser sein. Und gerade auch auf der Bühne. Und doch haben sie sich hier enorm gesteigert, ich denke da an die wenig begeisternden Konzertreisen vor einigen Jahren im Vorprogramm von Porcupine Tree, als die Band beinahe einen verlorenen Eindruck hinterlassen hat. Dann spielte man kleinere Headliner-Clubtouren mit quasi Best-of-Programm aus allen Schaffensphasen, ungeheuer packend war das. Man hatte sich wieder gefangen. Und nun also der leicht poppige, symphonische Weg. Mit rockender Zugabe. Zum Glück beschränken sich die Musiker auf eine unaufdringliche, introvertierte Bühnenpräsenz, alles andere hätte wohl nicht gepasst. Hier spricht die Musik für sich.
Und so ist der Auftritt trotz verschiedener Einwendungen ein Genuss, was schon allein an der Klasse des Songmaterials liegt, ebenso daran, wie gut die Stimmen von Vincent Cavanagh und Lee Douglas harmonieren, das dürfte ruhig noch weiter ausgebaut werden. Ich werde das nur allzu gerne weiterverfolgen.
Punkte: 9 / 10