"Erde" beginnt ruhig mit cleanen Gitarren, melodiösem Gesang. Nach ein paar Takten dann zeigen kurz angedeutete verzerrte Heavy-Riffs eine härtere Gangart an, der Gesang wird expressiver; ein astreiner Powermetal-Chorus folgt, nach vorn gepeitscht von aggressivem Riffing. Der Sound ist furztrocken, die rohe und kantige Produktion und die klassische Metal-Besetzung ohne Keyboards machen's möglich. Ganz nett und wenig spektakulär. Denkste! Völlig unerwartet folgt ein hochmelodischer, sehr dynamischer Instrumentalteil mit plötzlicher Tempoverschärfung, filigran von zwei Gitarren ausgeführt, im Klang gar nicht mehr so ungehobelt, sondern geschmeidig - mitreißend! Zurück zu schwerem Metalriffing - ein getragener B-Part mit zwei parallel geführten Gesangslinien, ein Solo, rein in den Chorus. Plötzlich zieht das Tempo an, ein richtiger cooler Effekt...
Und der Opener ist erst ein kleiner Vorgeschmack! Das folgende "Der Koenig" ist ein wahrer Leckerbissen in Sachen Progressive Power Metal - ein 7:50 Minuten langes faszinierendes, komplex zusammengestelltes musikalisches Chamäleon. Mal melodisch, mal aggressiv, mal ruhig, mal drängend und mit unterschiedlichsten Tempi und Rhythmen gespickt, eingefasst von einem akustischen Folk-Rock-Rahmen. Alles andere als eingängig, sehr anspruchsvoll!
Komplex, vertrackt, auf jeden Fall überraschend kommen so ziemlich alle Songs aus den Boxen. Der Name Mosaik ist wahrlich Programm... mal klingen sie mit stahlschweren Headbanger-Hymnen true-metallisch nach Bands wie Hammerfall und bombastisch nach Blind Guardian, dann erinnern mich edle Gitarren-Parallelbewegungen an Iron Maiden. Mal höre ich ein paar Takte nach vorn peitschende Drives à la Armored Saint, dann wieder aggressiven und komplexen Thrash im Stile von Metallica. Und dann möchte man bei mittelalterlich anmutenden Klampfen das Lagerfeuer auspacken. Hier klingen sie nach 'harmlosem' Melodic Rock, und da wird urplötzlich mal zu ziemlich aggressiven Riffs geshoutet.
Und all das steckt in fast jedem Song! Es gibt auf der gesamten Platte keine zwei Minuten, die vorhersagbar geradeaus plätschern. Man darf immer das Unerwartete erwarten. Da reihen sich fiese Knüppeleien, filigrane Frickeleien und sanfte Akustik-Breaks nahtlos aneinander und passen auch noch ziemlich gut zusammen. Obwohl man recht komplex und verschachtelt zur Sache geht und nicht mit Rhythmuswechseln geizt, bleiben einige Melodien extrem gut hängen, so zum Beispiel das fiese "N.E.M.I.B.S." - ausgeschrieben "Nur Einmal Moecht Ich Boese Sein" - und erstaunlicherweise auch das eigentlich alles andere als straighte, aber sehr intensive "Ein Neues Lied". Etwas aus dem Rahmen fällt "Unreal" mit minutenlanger, beinahe psychedelischer Melancholie, gefolgt von bösen Growls und als einziges Lied auf englisch gesungen bzw. gegrunzt.
Diese experimentelle Nummer ist etwas gewöhnungsbedürftig - der Rest der einstündigen Platte ist einfach nur spannend. Die Prog-lastigen Strukturen und die Kombination der Stilrichtungen machen "Stille Nacht" zu einem Album, das mehr als nur ein Mal gehört werden will. Und in Kombination mit den deutschen Texten klingt die Mosaik-Mucke ganz schön eigenständig. Man muss den etwas stilisierten Gesang in der Art von Mittelalter-Metal-Bands mögen. Und den Drang, zu reimen. »Was sich reimt ist gut«, kommentiert die Band selbst ihre Texte - tiefsinnige Lyrik über die Welt und den Menschen, was ihn antreibt und was ihn belastet, in vielen Bildern getextet mit reichlich Interpretationsspielraum. Alles in allem ein beachtliches Werk einer Band, die die Prädikate 'kreativ' und 'eigenständig' verdient. Vielleicht ist "Stille Nacht" nur ein kleiner 'Mosaik'-Stein einer größeren Karriere.
Punkte: 9.5 / 10