Mit nicht allzu großen Erwartungen (die, wie sich herausstellen sollte, völlig unberechtigt waren), lege ich die Scheibe zum Test-Hören ein.
Vor mir liegt ein schönes Digipack, solide und schöne Aufmachung, so wie man es von SPV gewohnt ist.
Der erste Song, "Close my Eyes". Er beginnt recht verhalten, um sich dann mit einem eingängigen Riff in meine Gehörgänge zu mogeln. Es entwickelt sich ein solider Fuß-wackel-Song, mit einem Refrain, der selbst mich durchgehend-Doublebass-Schnörkel-Tralala-Power-Metal Liebhaber mitzureißen weiß. Sollte es sich doch als Fehler herausstellen, dass ich diese Band bisher vernachlässigt habe?
Die Antwort auf diese Frage sollte ich mit dem zweiten Track, "Lost", erhalten.
Denn was mir da aus den Kopfhöhrern entgegenblätterte, hat mich völlig aus den Socken gehauen. Ein klares Gitarrenintro, ein Riff, was sich sofort einprägt - und ein Refrain, der meine Hypophyse zu einem spontanen Dopamin-Bad veranlasst. Das darauffolgende Solo nötigt den Zuhörer, wie eigentlich jedes Solo auf der CD, mit gefühlsverzerrtem Gesicht Luftgitarre zu spielen. Wahnsinn. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht mit einer Hab-mich-lieb-Jacke aus dem Geschäft begleitet zu werden. Ohrwurm Nummer eins.
Mit "Tele Box Fool" kommt dann auch der Doublebass Freund auf seine Kosten. Wieder von einer verflucht eingängigen Gitarrenmelodie eingeleitet, entwickelt sich ein solider Track, der das Füßewippen zwecks der Schlagzahl etwas schwierig macht, und Lust darauf macht, das Haupthaar durch die Gegend zu schleudern. Schade, dass ich immer noch im Geschäft bin, und nicht zuhause.
Mittlerweile bin ich soweit, meine Ansichten über die Band vollkommen über Bord zu werfen. Doch was mit "Ice and Fire" folgen sollte, darauf bin ich nicht gefasst.
Denn die Ballade "Ice and Fire" ist meiner Ansicht nach der beste Track auf dem Album. Das Grundmotiv, mit dem der Song eingeleitet wird, zieht sich mal offensichtlich, mal verborgen durch das gesamte Lied. Die Bridge zum Refrain verleitet einen dazu, aufs nächste Hausdach zu steigen, zig Ventilatoren aufzustellen, das Hemd aufzuknöpfen und mit ausgestreckten Armen die Mähne im Wind flattern zu lassen. Es setzt sich derart fest, dass die "repeat"-Taste, wenn man denn mal von dem Song los kommt, bis dahin erheblich leiden musste. Dezente orchestrale Einlagen ergänzen den Song um ein weiteres wunderbares Detail, dennoch wirkt der Track nicht überladen. Sieben Minuten vergehen wie ein Augenblick.
Ohrwurm Nummer zwei, und was für einer.
Soldier of Fortune. Klassischer Stampfer, ein bisschen orchestrales Tamtam, ein exotisch anmutendes Riff am Anfang - Fäuste in die Luft, lautes Mitsingen ist erlaubt (das in der Öffentlichkeit zu unterdrücken, fällt nicht gerade leicht) - der Refrain macht den Song sicher zu einem Livebrecher! Kann aber aufs Genick gehen.
Mittlerweile muss man sich fragen "Waren das bisher wirklich nur 5 Songs?" - Ja. Wirklich!
Es geht weiter mit "The Sirens". Wieder so ein eingängiges Riff. Mob Rules werfen hier mit genialen Gitarrenideen um sich, was manch andere Band auf 2 Alben nicht hinbekommt. "The Sirens" galoppiert mit enormer Spielfreude seine 4:25 Minuten herunter, Auch der Song bleibt durchaus hängen.
Mittlerweile hat man über eine halbe Stunde hinter sich gebracht und man fragt sich, wann denn die auf eigentlich jedem Album vorhandenen Lückenfüller kommen. Aber mit dem Beginn des nächsten Songs "Scream for the Sun" (May 29th, 1953)" kann man die Bandmitglieder mit wackelndem Zeigefinger und von Ohr zu Ohr grinsend vor sich sehen "ne ne du, ham wir nicht..."
Und so ist es auch. Der 7. Song auf dem Album ist eine Hommage an die Erstbesteigung des Mount Everest, wie der Titel unschwer vermuten lässt. Es wird eine ungewöhnliche Stimmung mit dem Track eingefangen - nahezu mystisch, schwer zu beschreiben, jedenfalls großartig. Mob Rules machen sich durchaus gut als Geschichtenerzähler.
Der 8. Track beginnt, und man wird prompt aus der Nachdenklichkeit gerissen. Der Titelsong des Albums, "Cannibal Nation", drückt dem Zuhörer eine unglaubliche Energie entgegen. Und woher zum Geier nehmen die immer diese extrem eingängigen Melodien?! Sei es am Anfang des Songs, oder im Refrain - man wird ge-, aber nicht überfordert. Und das wirkt sich sehr gut aus - man entdeckt immer neue Details, je öfter man die Songs hört. Im Refrain poltern einem die Noten nur so entgegen, und entwickeln eine positive Gesamtstimmung in dem Lied. Dazu noch ein wieder mal ein luftgitarrenverdächtiges Solo. An einzelnen Teilen des Songs mag sich zwar der ein oder andere an Iron Maiden erinnert fühlen. Aber auch nur sehr kurz, und Mob Rules bewahren trotzdem ihre Eigenständigkeit. Ohrwurm Nummer drei.
Mit einem ruhigen Akustikgitarren-Bass-Schlagzeug-dezentes Keyboard-Mix beginnt der Rausschmeißer "Sunrise". Ein sehr zurückhaltender Track. Ein kurzes Solo, das mich irgendwie an Pink Floyd erinnert, folgt nach dem ersten Refrain. Der Song steigert sich zum Ende hin, und schließlich umgibt einen nochmal ein Teppich aus Rhytmus-und Leadgitarre, Bass, Schlagzeug, Keys und dem hervorragenden Sänger, der nochmal alles aus seinen Lungenflügeln rausholt.
Jetzt stehe ich da, kann irgendwie kaum glauben dass das nur 9 Songs waren, und wünsche mir noch eine Zugabe.
Eine schöne Zugabe folgt dann auch bei der Limited Edition mit dem Track "Children of the Flames" - einem Song vom 2009er Album "Radical Peace", der bei einem Live-Auftritt in Atlanta, USA mitgeschnitten wurde.
Mit dem Gedanken an oben erwähnte "Hab-mich-lieb-Jacke" halte ich mich zurück, im Geschäft nicht euphorisch Beifall zu klatschen und zu rufen "Super, Jungs, geiles Album! Zugabe!". Ab zur Kasse. Und dann heim!
Mob Rules machen bei "Cannibal Nation" alles richtig. Es passt alles super zusammen, und entwickelt eine starke Eigenständigkeit, sodass man nirgends das Gefühl hat, das schon irgendwo schonmal gehört zu haben. Instrumentalisierung und Gesang harmonieren auf fesselnde Weise miteinander, sodass das Album mehrere Durchläufe hintereinander durchaus hinlegen darf, ohne dem Zuhörer mit der Zeit auf den Sender zu gehen. Und das schaffen wirklich nicht viele. Die Produktion ist sehr solide, wirkt aber nicht zu künstlich - ein weiterer Pluspunkt. Das Album macht süchtig, reißt beim ersten Hören mit und hinterlässt seine Songstrukturen im Kopf, dass man sich immer irgendwo ertappt, eine Melodie aus dem Album im Kopf hat und dabei mit den Füßen wippt. Und das möchte ich als Zuhörer auch!
Daher ist "Cannibal Nation" von Mob Rules für mich eines der besten Releases in 2012. Ich bin gespannt, was sie danach noch drauflegen wollen - aber bis dahin bleibt sicher noch viel Zeit. Und in der darf man sich, falls noch nicht geschehen, auch mit den älteren Veröffentlichungen der Band bekannt machen. Ich für meinen Teil werde das tun....!
Volle Punktzahl und absolute Kaufempfehlung für das Teil!
Punkte: 10 / 10