Das zeigt sich schon am Opener PRETTY GOOD YEAR, der als sanfte Piano-Ballade beginnt und plötzlich in einen unerwarteten Rock-Teil ausbricht. In eine ähnliche Kerbe, nur noch extremer, schlägt THE WAITRESS, denn mit einem Mal wird der Zuhörer angeschrien: „I believe in peace, bitch!!“ GOD wird angereichert mit einer schief-quietschenden Gitarre, PAST THE MISSION steigt mit einer schrulligen Melodie ein und entpuppt sich im Refrain als atmosphärisches Duett mit Trent Reznor (!). Ähnlich originell präsentieren sich THE WRONG BAND und SPACE DOG. Besonders der zweite Song überzeugt durch einen unerwarteten Klangmix – grummelnder Bass und fragiles Piano.
Gegen all das wirkt BAKER BAKER fast langweilig, da ohne Ecken und Kanten – trotzdem ist auch dieser Song zu berührend, als dass man ihn zu stark kritisieren könnte. Wesentlich besser sind allerdings ICICLE und CLOUD ON MY TONGUE, die beide einen klassisch angehauchten, reichhaltigen Klangteppich entfalten. Beschlossen wird „Under the Pink“ mit YES, ANASTASIA, dessen zehn Minuten etwas platt getreten wirken. Dafür steigert sich das Lied gegen Ende in ein episches Finale.
Der gradlinige und einprägsame Radio-Liebling CORNFLAKE GIRL will nicht so recht in dieses Repertoire passen. Trotzdem liegt hier ein durchweg gelungener Popsong vor, nicht zuletzt wegen des coolen Piano-Solos. Bleibt noch BELLS FOR HER, ebenfalls ein Aussenseiter und für mich der Standout-Track auf „Under the Pink“. Ähnlich wie ME AND A GUN vermittelt BELLS FOR HER eine unangenehm intime Atmosphäre. Das Lied wurde an einem präparierten Klavier gespielt, das verstimmt, verstaubt und vergessen klingt. Bemerkenswert, mit welch einfachen Mitteln Tori dieses Lied so dicht und bedrohlich macht.
„Under the Pink“ ist das zweite Highlight in Tori Amos’ Diskographie. Es präsentiert Songwriting auf höchstem Niveau: Ergreifend, anspruchsvoll, unterhaltsam und vielfältig. Ich bin versucht zu glauben, dass Tori nie wieder so verdammt gut war, wie auf diesem Album.
Punkte: 10 / 10