Gojira L'Enfant Sauvage (2012) - ein Review von Nasreddin

Gojira: L'Enfant Sauvage - Cover
1
1 Review
24
24 Ratings
8.54
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Metal: Death Metal, Progressive Metal


Nasreddin
27.06.2012 15:56

Auch einem eingefleischten Metal-Fan mit Sammel-Leidenschaft passiert es: man liest jahrelang immer wieder den Namen einer Band, ist aber nicht interessiert genug um sich mal eine Platte anzuhören. Und dann kommt der Tag, an dem man von einem Song so richtig umgeblasen wird und plötzlich merkt man, dass er von eben dieser Band stammt, die man jahrelang so im Namensgedächtnis zwischen AC/DC und ZZ Top mit sich herumgeschleppt hat.

In meinem Fall war es Gojira und der Titeltrack des neuesten Outputs ”L‘enfant sauvage“. Diese verrückten Franzosen haben einen so eigenen Sound, dass man ihnen eigentlich Unrecht damit tut, sie in einen bestimmten Stil zu zwängen. Wer bei Progressive Death Metal aber z.B. an Opeth denkt, kann sich die stilistische Breite sicherlich besser vorstellen.

Unkonventionell ist eines der ersten Wörter, das mir zu ”L‘enfant sauvage“ einfällt. Denn Konventionen, Genre-Grenzen oder Strophe-Refrain-Strophe-Strukturen kümmern die vier Franzosen nicht viel. Und so ist der aktuelle Longplayer vor allem eines: intensiv. Direkt danach folgt „abwechslungsreich“: wildes Knüppeln folgt auf Ambient, Meshuggah-Salven auf Shoegaze-Gitarrenwände. Und obwohl hier ein Album mit sehr viel Death Metal-Nähe vorliegt, sind es teilweise schwarzmetallische Stilelemente, die den Sound von Gojira bereichern und die auch in BM-Kreisen nicht jedem Schmecken: Monotonie in Form von sich wiederholenden Riffs. Damit ist nicht gemeint, dass den Jungs nicht genügend eingefallen ist und die Songs langweilig klingen würden. Wer alte Burzum schätzt, wird wissen, was ich mit einer intensiven Atmosphäre meine.

Solche Songs schrauben sich verständlicherweise nicht nach fünf Minuten in den Kopf. Man sollte also schon etwas Zeit mitnehmen und sich mit dem „ wilden Kind“ genauer befassen. Dann kann man sich in den elf Tracks verlieren und getrost alles um sich herum vergessen.

Und das beginnt direkt mit dem ersten Brecher ”Explosia“. Den Titel darf man gerne wörtlich nehmen, feuern Gojira von der ersten Sekunde an voll aus allen Rohren. Mal mit heftigen Stakkato-Riffs, dann mit atmosphärischen Passagen und sehr intensivem Gesang: Gojira ziehen mich absolut in ihren Bann.

Der Titeltrack setzt nahtlos an, wo die Explosion aufgehört hat. Und er steigert sich in seiner Aggresivität noch einmal deutlich, ungefähr so als wollten die Jungs im Studio alles windelweich schreien und prügeln. Richtig starke Kombination von kontrollierten Riffs und wütender Raserei.

”The Axe“ müsste eigentlich „The Steam Hammer“ heissen wenn man nach einer bildhaften Umschreibung der Musik sucht. Klar, zwischendurch geht das Tempo mal runter so dass man am liebsten mit einer Axt in den Garten marschieren und ordentlich Kleinholz fabrizieren möchte. Bereits die ersten drei Songs geben mir mehr als so manches Knüppel-Album der Konkurrenz. Es schielt alles nach dem ganz großen Wurf!

Es geht in die nächste Runde der blumigen und lebensbejahenden Songtitel. ”Liquid Fire“ ist ein Song, der bei dem Versuch herauskommen würde, die Jungs von Anathema Death Metal spielen zu lassen. Was soll man sagen: es stimmt mal wieder alles. Angefangen bei der Gesangsleistung über die Arbeit an den Knüppelkisten bis zur Saitenfraktion, die leider etwas im Sound untergeht. Bereit für die nächste Schandtat.

Ja, ”The Wild Healer“ ist so eine Sache. Kennt jemand Horse The Band? Ich hatte erst die Vermutung, hier hat sich ein Song der Nintendocore-Knaben auf die Pressung geschlichen. Wenn man ”L‘enfant Sauvage“ am Stück hört dann können knapp zwei Minuten Erholung den Ohren nicht schaden. Ansonsten ist das hier wohl der einzige Skip-Kandidat.

”Planned obsolescence“ beschreibt normalerweise Produkte, die durch bewusste Schwachstellen nur eine bewusste Haltbarkeit haben. Das gilt zweifelsohne nicht für diesen Song. Denn der hält das hohe Niveau das Albums mit nur geringen Abnutzungserscheinungen.

Nach den ersten Takten von ”Impermanence“ ist man wieder im Reich der Nackenbrecher angelangt. Absolut souverän schält sich hier der Brocken aus den Lautsprechern. Solche UpTempo-Stampfer gehören auf jeden Fall ins künftige Live-Programm der Franzosen. Ich freue mich jetzt schon drauf.

Für Gojira-Verhältnisse gemäßigt beginnt ”The Gift Of Guilt“. Durchsetzt mit heftigen Attacken bleibt es auch erst im niedrigen Tempo-Bereich bis in der zweiten Hälfte die Keule wieder ausgepackt wird. Hat noch jemand Mitleid mit den Schlagzeug-Fellen?

Falls nicht, trifft das spätestens nach ”Pain Is A Master“ ein. Garten- und Maschinenmetaphern machen hier jedenfalls so richtig Spaß. Track neun hat etwas von einem wild gewordenen Mähdrescher, den vielleicht, aber auch nur vielleicht eine Kuhherde aufhalten könnte. Schmerzlos und direkt ins Mark.

Auf ”Born In Winter“ hat das Verzerrer-Pedal erstmal `ne Pause bekommen. Auch der Gesang ist clean und weiss sehr gut zu gefallen. Nun gut, zumindest in der ersten Hälfte. Das tut der Stimmung aber keinen Abbruch, denn düster und melancholisch bleibt es bis zum Schluss. Klasse Song mit einem Feeling wie man es sonst von Woods Of Ypres kennt.

Für alle Headbanger, die sonst die „1“ und die „3“ im Takt verpennen um ihre Mähnen zu schütteln: das passiert hier niemandem. Wie eine schwerfällige Walze, die immer wieder fahrt aufnimmt, rollt der letzte Track ”The Fall“ aus dem Player.

”L‘enfant Sauvage“, das Kind der Wildnis ist ein kräftiger musikalischer Brocken, der über die gesamte Spielzeit absolut überzeugt. Wer diese Bestie in freier Wildbahn sieht, sofort verhaften! Keine Ausrede! Neun Punkte!

(9/10 Punkte)

(von mir geschrieben und erschienen auf Rock & Roll Circus.de (http://www.rockandrollcircus.de/gojira-lenfant-sauvage/064024))

Punkte: 9 / 10


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