Roger Waters The Wall - Live In Berlin (1990) - ein Review von Skywise

Roger Waters: Wall - Live In Berlin, The - Cover
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2 Reviews
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5 Ratings
5.20
∅-Bew.
Typ: Live
Genre(s): Rock: Progressive Rock, Psychedelic Rock


Skywise
15.08.2014 14:40

Berlin. 1989. Die Mauer fällt. Die Frisur sitzt. Und unmittelbar nachdem die ersten Trabis sich von ihrer Spritztour in den Westen erholt hatten und die ersten Spuren des gegenseitigen Begrüßungs-Schulterklopfens aus diversen Westhemden rausgebügelt waren, wurde die Forderung nach einer Aufarbeitung der Ereignisse in der DDR und dem zwischen den beiden deutschen Ländern befindlichen Niemandsland laut. Grund genug für einen politisch engagierten Menschen wie Ex-Pink Floyd-Vorturner Roger Waters, ein entsprechendes Zeichen zu setzen.
Immer noch Berlin. Ein Jahr später. In jener guten alten Zeit, da man noch wußte, daß man beim Bau eines Bahnhofs Kosten und Nutzen abwägen sollte, beim Hochziehen eines Flughafens Brandschutzauflagen zu beachten hatte und als in Bonn offenkundig noch viele Prospekte in Haushaltsbriefkästen landeten, die Werbung für einen nahezu kostenlosen Umzug nach Berlin machten. Zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz in Berlin, zuvor jahrelang ein Landstrich, in dem man sich aus gesundheitlichen Gründen aufgrund der potentiell bleihaltigen Luft besser nicht aufhalten sollte, baute Roger Waters seine Version der Mauer mit Hilfe des Impresarios Tony Hollingsworth, der wenige Monate zuvor dafür verantwortlich gezeichnet hatte, daß Nelson Mandela seinen 70. Geburtstag in einem gemütlichen Beisammensein mit 600 Millionen Fernsehzuschauern begehen konnte. Gemeinsam machten sie sich auf, symbolisch die Probleme der DDR-Geschichte und ihrer Verantwortlichen auf der Bühne aufzubereiten.

"Partei-Bonzentum" war ein Schlagwort der damaligen Zeit, man warf den höheren Herrschaften der DDR-Führungsetage "Größenwahn" und "Selbstherrlichkeit" vor, "mangelnde Bodenhaftung" bzw. "nicht vorhandene Nähe zum Volk" sowie kein sonderlich ausgeprägtes Fingerspitzengefühl in wirtschaftlichen Belangen. Diese Vorwürfe manifestierten sich auf der Bühne der Show "The Wall" in Form einer über 150 Meter langen Mauer, zu Beginn noch mit einigen Löchern, die im Verlauf der ersten Hälfte langsam geschlossen werden, ebenso ein Symbol für diejenigen, die gerade zu Beginn der politischen Eiszeit zwischen Ost und West noch die vorhanden Möglichkeiten nutzten, die Seiten zu wechseln, wie auch für die zunehmende Abschottung des Ostens; der zweite Teil des Konzerts sollte eher hinter als vor der Mauer stattfinden, um die Entfremdung der Verantwortlichen vor dem eigenen Volk zu versinnbildlichen. Da der Anblick einer geschlossenen Mauer gerade im zweiten Teil allerdings ein wenig zu langweilig geworden wäre, um die zahlungswilligen, aber wenig kunstbeflissenen Zuschauer zu fesseln, brauchte man einige große Namen, die sich hinter der Mauer verbergen und nur mit ihren Stimmen agieren sollten. Solche, die Resonanz verursachten, wenn man sie durch die Werbetrommel schleifte. Darüber hinaus mußten besonders einprägsame Figuren der Albumgestaltung bzw. des "The Wall"-Films überdimensional und ins Groteske verzerrt auf die Bühne gebracht oder von bis zur Unkenntlichkeit geschminkten Schauspielern verkörpert werden. Wichtig war, daß Roger Waters selbst gewissermaßen als dem geistigen Vater der Mauer dennoch eine tragende Rolle in der Produktion zukommen mußte, immerhin war es sein Projekt, es war seine Aufarbeitung seiner eigenen Geschichte und Komplexe, insofern mußte er sich in Szene setzen können, indem er durch das letzte verbliebene Loch in der künstlichen Mauer sein "Goodbye Cruel World" interpretierte - eine unmißverständliche Anspielung auf die Zeit des Kalten Krieges und der Funkstille zwischen Ost und West - sowie mit fast schon hilf- und planlosen Gesten eine speziell geschaffene Hotelzimmerkulisse demolierte - auch dies ein mehr als eindeutiger Hinweis, gerade auch durch das trostlos und bekemmend zu nennende Design von Tapete und Mobliar, in diesem Fall gemünzt auf die Wirtschaft der DDR.
Besonders wichtig war, daß das Projekt von Anfang an überdimensioniert war; der Produzent mußte sich weigern, alle Sonderwünsche Roger Waters' umzusetzen, so daß jener selbst in die Tasche greifen mußte, um das Projekt zu verwirklichen, wie zuvor auch schon die Bürger der DDR. Auch durften sich die Bild- und Tonträger dieses Ereignisses auf gar keinen Fall so gut verkaufen wie kalkuliert - ein Ziel, das Roger Waters mehr als nur zufriedenstellend erreichte; der etwas obskure Memorial Fund for Disaster Relief, in dessen Kasse die Erlöse aus dem Medienverkauf fließen sollten, löste sich kurze Zeit später erfolglos auf und die Rechte an der Verwertung fielen wieder auf Waters zurück.

Häufiger wurde in der DDR bemängelt, daß bestimmte Leute ihre Stellung in Wirtschaft und Politik nur Vitamin B zu verdanken hatten und nicht ihrer Qualifikation - ein Vorwurf, der ebenfalls in der Bühnenshow umgesetzt werden mußte, also suchte man nach Kandidaten, die den Ansprüchen an das Liedmaterial oder die Aufführung nur wenig gerecht wurden. Verzögerungen bei der Planung sorgten zwar dafür, daß der gerade bei der Jugend des Jahres 1990 äußerst beliebte Sänger Joe Cocker ebenso außen vor bleiben mußte wie das Nachwuchstalent Rod Stewart, das mit seinen 45 Jahren eine rotzig-freche "Young Lust" vermitteln sollte - dieser Part ging dann an den wenige Jahre jüngeren Bryan Adams, der diese Aufgabe recht passabel meisterte, wenn dabei auch die gesellschaftliche Kritik eher auf der Strecke blieb. Ein wenig zuviel des Guten leistete sich das Team um Roger Waters dann leider bei der energisch auftretenden Cyndi Lauper, bei der man mehrere Faktoren gleichzeitig einfließen lassen wollte - welches Lied wäre dazu besser geeignet gewesen als der große Album-Hit "Another Brick In The Wall (Part 2)" -: nicht nur, daß sie an diesem Abend, als es drauf ankam, mit ihrer Darbietung eine völlig undiskutable Leistung zur Schau stellte, sie mußte auch als Mahnmal für die wirtschaftlich problematische Lage der DDR herhalten, als eine der zahlreichen Projektionsflächen des Abends für die seinerzeit dort vorherrschenden Mängel in Sachen Material- und Energieversorgung, indem ein Tonausfall dafür sorgte, daß sie höchstens von den Tontechnikern zur Kenntnis genommen wurde. Bei anderen Interpreten gelang der Kunstgriff, einen zusammenbrechenden Stromkreis eine komplette Darbietung in den Abgrund reißen zu lassen, deutlich eindrucksvoller, so etwa bei Sinéad O'Connor ("Mother"), die dieser Kritik durch ihre an Verlust und Entbehrung gemahnende Frisur zusätzlichen Ausdruck verlieh.

Roger Waters bewies bei diesem Anlaß seinen politischen Weitblick, als er mit vielversprechendem Material und einer eindrucksvollen Gästeliste in Berlin ankam, den Leuten das Geld aus der Tasche zog, eine Mauer errichtete und ihnen am Ende des Konzerts statt blühender Landschaften einige unschöne Trümmer präsentierte. Als netten Seitenhieb am Rande sorgte man während der gesamten Vorbereitsungszeit dafür, daß die meisten wirklich relevanten Entscheidungen über das Fortschreiten des Projekts nicht im Land der Aufführung getroffen wurden. Das Konzept des Konzerts beinhaltete ebenfalls eine Aufbereitung des seinerzeit heiß diskutierten Themas "Vertuschung", das insbesondere im Zusammenhang mit politischer Korrespondenz sowie den Stasi-Akten diskutiert wurde. Dies konnte man bereits im Vorfeld erahnen, als Roger Waters bei der Veröffentlichung der ersten Pläne zu diesem Live-Projekt anläßlich eines Interviews einräumte, daß sein Lieblingsgift David Gilmour eventuell ein Gitarrensolo zu diesem Ereignis beitragen dürfe, ein Versprechen, von dem er zu einem späteren Zeitpunkt nichts mehr wissen wollte, als Gilmour tatsächliches Interesse an diesem Vorhaben bekundete. Die Dimensionen dieses Unterpunkts zeigten sich aber insbesondere im Anschluß an das Ereignis, als die gar schauerliche Leistung des Live-Ereignisses für Bild- und Tonkonserve manipuliert wurde. So stammen die Beiträge von Sinéad O'Connor oder Cyndi Lauper vorrangig aus der Kostümprobe zum Ereignis, nicht von der eigentlichen Veranstaltung. Ute Lemper wurde später darum gebeten, für die Video-Veröffentlichung zu den Live-Aufnahmen (die Gemahlin in der abschließenden Gerichtsverhandlung sowie "The Thin Ice") vor einem schwarzen Hintergrund noch einmal die Lippen zu bewegen. Tonspuren wurden im Studio mittels Overdubs aufgebessert oder sogar komplett ausgetauscht. Einige als weniger hörens- und sehenswerte Ereignisse fielen nach Einsatz der Schere unter den Tisch. Letzten Endes geriet die Medienveröffentlichung zu einem Sinnbild der Frage "Ist das alles eigentlich wirklich damals genau so passiert?".

Auch wenn viele Quellen sich sowohl im Vorfeld als auch im Verlauf des Konzerts und seiner Durchführung äußerst wohlwollend äußerten und nicht mit Superlativen geizten, muß man im Nachgang doch festhalten, daß diesem Ereignis in vielerlei Hinsicht ein äußerst schaler Beigeschmack beiwohnte. Es wurden mehr Mühen in die Inszenierung und die Darstellung der Selbstbezogenheit investiert als in die technische Perfektion. Man überschätzte die Bereitschaft des Publikums, zum Teil drastische qualitative Einbußen hinzunehmen, war allerdings darauf bedacht, die Mängel nur denjenigen erleben zu lassen, der live vor Ort war. Alles in allem ein herausragendes Zeitdokument, das die Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte in bester Weise auf die Bühne bringt. Eine Bühnenshow wie ein DDR-Vorzeigebau: außen viel Prunk, innen wenig Substanz, aber ordentlich Pfusch, vermarktet in Konserven, deren künstlerischer Wert den der verwendeten Materialien kaum übersteigen. Ein Manifest der Selbstüberschätzung, gegossen in Planlosigkeit und Unvermögen. Roger Waters, wir haben verstanden. Danke schön.

Punkte: 3 / 10


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