Manic Street Preachers The Holy Bible (1994) - ein Review von Lord

Manic Street Preachers: Holy Bible, The - Cover
1
1 Review
6
6 Ratings
9.08
∅-Bew.
Aka: Verses From The Holy Bible
Typ: Album
Genre(s): Pop: Brit-Pop
Rock: Alternative Rock


Lord
08.02.2015 09:13

Einem solchen Überalbum kann man mit Worten nicht gerecht werden, unmöglich - es ist neben "Everything must go" das für mich stärkste Album der 4 Waliser und verhält sich in seiner Gegensätzlichkeit zu seinem Nachfolger wie "Die Schöne und das Biest":
"The holy bible" ist klar das Biest: Verstörend, verzweifelt, sperrig, vertrackt, unkonventionell, depressiv, beängstigend, kaputt und destruktiv.
"Everything must go" ist die Schöne: Melancholisch-schön, ausgeglichen, sehnsüchtig, befreiend, aufatmend, aufbrechend, frei.

Das Album war bei seiner Veröffentlichung 1994 ein Flop, nachdem sich seine zwei Vorgänger relativ gut verkauften, grad in Grossbritannien. Bei mir allerdings war die Platte (im Herbst 1994 als Picture Disc gekauft) schon von Anbeginn weit vorne: Fesselnd, attraktiv, anziehend, schön.
"The holy bible" spricht einen Teil meines Inneren an, der wohl auch irgendwie kaputt und verzweifelt sein muss - und wenn man diese Seite in sich hat, dann wirkt das Album eben gleichzeitig auch schön, oder irgendwie wie ein Zuhause. Angekommen... Schwer zu beschreiben. Wohl wie Junkies einen Schuss Heroin beschreiben: Sie wissen, dass es den Körper zerstört, die Seele raubt, dass es dreckig und kaputt ist - aber es fühlt sich anscheinend wunderschön wohltuend an, wie die offenen Arme Gottes, die sie wärmen und festhalten und ihnen für eine kurze Zeit das ultimative Glück der Geborgenheit bringt... Aber eben - Heroin vs. Glück.. Paradoxon. Genauso "The holy bible" vs. schön.

Die Texte des damals schon relativ psychisch labilen Richey James Edwards gehen unter die Haut - damals von Vielen als Gepose und selbstmitleidig empfunden, waren sie Vorbote der bitteren Wahrheit. Und so wollte Edwards auch verstanden werden: "Die heilige Schrift" seiner Wahrheit soll das Album sein, ein offenes Buch - nackt, schutzlos. Visier offen! Niemand - oder Wenige - nahmen ihn ernst. Ein halbes Jahr nach Veröffentlichung der Scheibe war er weg. Spurlos verschwunden. Bis heute weiss man nicht, ob er nun tot oder einfach nur untergetaucht ist – seine Leiche wurde nie gefunden. Sein Auto hingegen fand man im Februar 1995, vor 20 Jahren also, bei einer Brücke - eine Brücke die davor schon Negativschlagzeilen machte wegen vielen Selbstmorden. Die Band sollte an jenem Tag zu Promoterminen aufbrechen.. Dazu kam es nie. Richey erschien nicht mehr.
Er litt an Depressionen, Alkoholsucht, Anorexia nervosa (Art Magersucht), Selbstzerstörung - eigentlich an fast allem was nicht sonderlich erstrebenswert ist. Seine Weltansichten schienen gestört, wirr und unlogisch - zumindest wenn man vom gesellschaftlichen Massstab, der Norm, ausgeht. Sie war halt anders... Wahrer. Ehrlicher. Und das ist das beängstigende an seinen Texten; sie sind ja nicht geistiger Unsinn eines Idioten der nicht weiss wovon er spricht. Im Gegenteil. Bereits auf dem Vorgänger "Gold against the soul" schrieb er "From despair to where" - niemand konnte ahnen, dass diese Aussage bittere Wahrheit werden würde.

Die Scheibe beinhaltet u.A. Gesellschaftskritik, Ängste und Leiden. Sie ist nicht einfach zu konsumieren und lässt einem verstört zurück. Die Texte - "Die in the summertime" oder "4st. 7lb." - öffnen klar die Augen für das Unschöne, das nicht perfekte, dennoch will man weg gucken. Man will die Wahrheit der Betroffenen nicht sehen und hören. Lieber wieder TV anmachen, Gute Zeiten, schlechte Zeiten mit happy end, und sich ablenken. Opium des Volkes. "The holy bible" ist das pure Gegenteil von dieser Wohlfühlwelt - was wiederum gegenteilig ist zur Religion, zur "Heiligen Schrift", die ja Opium sein soll und vielleicht teilweise auch ist. Vom Denken abhalten. Keine eigene Meinung bilden. Wie Lemminge oder blökende Schafe der Herde folgen. Insofern stellt sich wirklich die Frage, was denn nun die Wahrheit ist..? Und ich als Christ stell mir diese Frage. Wahrscheinlich irgendwie beide Herangehensweisen.

Musikalisch ist es für mich eine der interessantesten Scheiben der 1990er, wenn nicht gar eine der interessantesten und intensivsten ever. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man auf solch unorthodoxe Akkordfolgen kommt, wie man überhaupt Melodien zu dermassen verzweifelten Texten schreiben kann, ohne dass es sich nur noch nach Verderben und Disharmonie anhört... "This is yesterday" - der sicherlich positivste Song auf "Holy bible" - ist schon beinahe bejahend. Schön und leicht. "She is suffering" wirkt eigentlich logisch und wunderbar, ist jedoch so düster und negativ produziert, dass die Schönheit der Melodie wieder überschattet wird von Zerbrechlichkeit, Leiden und Dunkelheit.

Mit "P.C.P.", "Faster" und "Yes", dem textlich brutalen Opener, befinden sich drei musikalisch dem Punkrock verschriebene Songs auf der Scheibe - so wie man die Preachers eigentlich in Erinnerung hatte. Doch die abstrakten Melodien nehmen deutlich Überhand - "Archives of pain", "Mausoleum" oder vor allem das total kaputte "The intense humming of evil" (beinhaltet der Song ein Sample von "Nick the stripper" von den ebenfalls genialen Birthday Party?) sind keine leichte Kost. Sowohl musikalisch als auch lyrisch. Schwer zu verdauen. Anstrengend, unschön. Hässlich!! Da wir aber alle auch Hässlichkeit in uns tragen - die Meisten mehr als sie wahrhaben wollen - sind einem diese Klänge dann doch wieder vertraut. Man muss sie nur zulassen können.

Dieses Album ist ein Meilenstein der alternativen Musik - es enthält Einflüsse von Grunge, von Punkrock, von Himmel und Hölle. Gesegnet, tragisch, verstörend. Bis heute fasziniert mich die Scheibe und ich werde nie müde sie zu hören und sie zu lieben. Seit über 20 Jahren...!

Punkte: 10 / 10


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