Besonders in der ersten Hälfte reiht sich ein musikalisches Schmuckstück an das nächste. WAY DOWN HADESTOWN und WHEN THE CHIPS ARE DOWN sind schräge Folk-Rock-Gassenhauer, die Altmeister Tom Waits stolz machen würden. HEY, LITTLE SONGBIRD ist ein klaustrophobisch düsteres Duett zwischen Eurydike und Hades, das romantische Liebe gegen reale Alltagsprobleme ausspielt. Ein intimes und perverses Stück; creepy as hell. OUR LADY OF THE UNDERGROUND schwelgt in verrauchter, eleganter Jazz-Atmosphäre. WHY WE BUILD THE WALL ist ein epischer Song mit klar politischer Ausrichtung. Darin propagiert Hades das Erbauen einer Mauer, und begründet das Projekt mit semi-vernünftigen Argumenten, die sich letztlich selbst aushebeln – was aber völlig egal ist, da ein gigantischer Chor jedes Wort des charismatischen Herrschers wiederholt. Gänsehaut garantiert. Das ist grandioses Songwriting! Zumal es mehr ist als eine blosse Karikatur; Mitchell versucht der Logik des Isolationismus auf die Spur zu kommen. Zeilen wie "We build the wall to keep us free" und "The war is never won" sind deswegen so stark, weil es ihnen gelingt, die entsprechende Ideologie blosszustellen, ohne sie plump ins Lächerliche zu ziehen. (Ein Schelm, wer bei diesem Lied an einen gewissen Herrn Trump denkt …)
Die zweite Hälfte ist dann etwas unscheinbarer, wenn auch auf hohem Niveau. Mitchells "Hadestown" ist ein echter Treibstoff für die Phantasie. Wann immer ich diese CD höre, habe ich sofort Bilder vor meinem inneren Auge. Diese Musik hat Leben, Textur und Leidenschaft. Das Album nimmt uns mit auf eine holprig-elegante, farbenfrohe-düstere Reise. Auf eine Reise, die keiner verpassen sollte.
Punkte: 9.5 / 10