BAP Vun Drinne Noh Drusse (1982) - ein Review von Spike65

BAP: Vun Drinne Noh Drusse - Cover
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1 Review
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22 Ratings
8.89
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Rock


Spike65
05.09.2017 13:30

Das erfolgreichste aller BAP Alben, und das, das am nähesten dem Ideal von "All Killer - no Filler" kommt. Dieses Album bildete den Kern der Setliste beim legendären Rockpalast-Auftritt von BAP auf der Loreley am 28. August 1982 als Vorgruppe von Rory Gallagher und Eric Burdon. Das Album wurde im Juli 1982 eingespielt und erschien nur 4 Tage vor dem Loreley-Gig.

Das Album beginnt mit einem der wichtigsten BAP-Songs überhaupt:"Kristallnaach" ist eine leider ewig aktuelle Warnung vor Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, vor Duckmäusertum und Populismus. Brilliant verbindet sich die bedrohlich-düstere, sich von Strophe zu Strophe steigernde Musik von Major Heuser mit dem Collagen-artigen bildreichen Text Niedeckens zu einer eindringlichen Mahnung zur Wachsamkeit:"Et rüsch noh Kristallnaach ..."! Der Song beginnt mit einer Folge von tiefen Baßtönen des Synthesizers, auf die beim zweiten Durchlauf die cleane E-Gitarre ihre Akkorde setzt und ausklingen läßt. Zunächst noch leise kommt dann Niedecken's Sprechgesang zu den Gitarrenakkorden und beginnt mit der Schilderung der düsteren Szenerie, in der bald schon ein Mob von "braven Bürgern" ("Honoratiore inkognito hasten vorbei - offiziell sinn die nit jähn dobei") seine Hetze beginnt auf alles, was fremd und anders ist ("... für die Schwule Verbrecher sinn, Ausländer Aussatz sinn ..."). Ein Text, wie ihn sich nur ein Kunstmaler erdenken kann, denn die Bilder sind wie aus expressionistischen Gemälden entlehnt ("Enn der Kirch met dä Franz-Kafka-Uhr ohne Zeijer, met Striche drop nur ...") und sind wie die Flicken einer Collage aneinandergereiht, machen die Bedrohung greifbar:"... un dä Wächter mem Schlüsselbund hällt sich em Ähnz für jet wie e’ Genie, weil e' Auswääje pulverisiert un verkäuf jääjen Klaustrophobie enn der Kristallnaach!". Strophen 1, 2, 3 und 5 basieren auf dem bedrohlichen Synthi-Riff, Strophe 4 und 6 sind rockiger, ihr Text eine wütende Ankage:"Wo mer Hymne öm Kamm sujar blööß enn barbarischer Gier noh Profit, 'Hosianna' un 'Kreuzigt ihn!' rööf, wemmer irjendne Vorteil drin sieht ...". Der Song kulminiert in einem schier endlosen, sich immer weiter steigernden Gitarrensolo, das dann schlagartig endet, während auf der Snare eine Art Marschrhythmus gespielt wird. Auch heute noch ein Song, der im Live-Repertoire aus leider allzu traurigen Gründen nicht fehlen darf.

"Wellenreiter" kommt als Lagerfeuer-Klampfensong daher, zwar noch Liedermacher-mäßig, aber nicht mehr mit dieser Kabarett-Attitüde der früheren Werke. Vom Text her ein Aufruf, reflektierter durch's Leben zu gehen und nicht blindlings der Masse zu folgen und auf jeder Welle mitzuschwimmen, sondern zu versuchen, sich selbst zu finden und sich treu zu bleiben, um nicht als dummes Stimmvieh über die selbstgewählten Oberen zu jammern, sondern als bewußter Gestalter seines Lebens und seiner Zukunft den eigenen Weg zu finden. Es ist das Lied gegen Hoffnungslosigkeit und Zukunftsangst und für den Mut zum selbstgewählten Lebensweg.
"Hühr ens, Wellenreiter, ’t ess nit alles Driss. ’T süht zwar bahl su uss, doch künnt et sinn, dat – je nachdem – noch jet ze ändre ess."

"Zehnter Juni" ist das Datum der Großdemonstration gegen den sogenannten NATO-Doppelbeschluß - der Titel des rebellischen Statements von Niedecken zum Rüstungswahnsinn:"Plant uns bloß nit bei üch enn!". Auch hier wieder kongenial von Major Heuser an der Gitarre mit einem aggressiven Gitarrenriff umgesetzt: Musik und Text verbinden sich zu einer Einheit des Widerstandes gegen die atomare Rüstung. Ein absoluter BAP-Klassiker, der leider wegen der zu konkreten Bezüge zum damaligen Zeitgeschehen keine Berücksichtigung mehr im aktuellen Live-Repertoir findet.

Mit "Wie 'ne Stein" kehrt Niedecken zu seinen Anfängen zurück: Dieser Dylan-Klassiker war es, der in ihm als Baßmann der Schülerband den Wunsch weckte, selbst ans Mikro zu gehen und selbst auch solche Texte zu schreiben. Im Arrangement nah am Original aus den 60ern, auch textlich so originalgetreu wie nur möglich ins Kölsche übertragen, ist der Song sauberes Handwerk als Hommage ans große Vorbild.

"Do kanns zaubere" ist vielleicht einer der besten "erwachsenen" Love-Songs. Keine rosa Brille, kein Romeo und Julia, kein "Dein ist mein ganzes Herz", sondern die gefühlvolle Schilderung des Moments, wenn einem auf einmal klar wird:"Jetzt passiert's - das ist die Eine!" - und zwar ungeschönt mit Hoffen und Bangen, dem flauen Gefühl im Magen, den Schwitzehänden und der Unsicherheit, ob dieser seltsame Typ überhaupt eine Chance hat, bei dieser Frau zu landen. Man findet sich wieder in diesem Text, er ist authentisch. Und auch hier zeigt Major Heuser seine Meisterschaft darin, Gefühle in Musik umzusetzen: Das Gitarrenpicking mit der besonderen Rhythmik zaubert Gänsehaut und der Gitarrenlick mit der Triole über eine Oktave, der das Kernthema des Schlußsolos bildet, im warmen Sound der Gibson Les Paul ist in seiner Einfachheit schon wieder genial. Der Song für Feuerzeuge und Wunderkerzen, der ebenfalls in keinem Konzert fehlen darf.

Die B-Seite beginnt mit dem einzigen Song der LP, der konkreten Bezug zu Niedecken's Heimat Köln hat und damit nicht den Anspruch von Allgemeingültigkeit erfüllt. Er ist Niedecken's Abrechnung mit dem damals noch von Klüngelei und konservativster Vereinsmeierei beherrschten Kölner Karneval. "Nit für Kooche, Lück, bliev ich Karneval he!" motzt er und kotzt sich aus über die Leute, die einmal im Jahr ihre Pappnase aufsetzen, um die Sau rauszulassen und all die Dinge zu tun, über die sie den Rest des Jahres die Nase rümpfen und sich die Mäuler zerreißen. Und so beginnt der Song zunächst mit Blasmusik und im Stil eines klassischen Karneval-Liedes intoniert eine Stimmungssängerin den bissigen Refrain - um dann in straighten Rock überzugehen. Für mich die schwächste Nummer des Albums, die auch nur eine Saison im Live-Repertoire blieb, während 8 der 10 Songs sogar zum Ende der Major Ära 1999 noch in den Setlisten zu finden waren und zum Großteil auch heute noch gespielt werden.

"Ahn 'ner Leitplank" ist die berührende Schilderung einer nächtlichen Autounfall-Szenerie: Ein Blumenstrauß in einer Vase am Straßenrand zeugt vom tragischen Geschehen und davon, wie schnell der Alltag solche Momente des Innehaltens wegwischt. Der Moment der Vergänglichkeit, der nachdenklich macht. Auch hier wieder ein gefühlvolles Arrangement zunächst mit akustischer Gitarre und Harp, das sich dann in Richtung Rockballade entwickelt.

"Wenn et Bedde sich lohne däät" ist ein ärgerlicher, wütender Song darüber, wie wenig Dank und Anerkennung selbstloser Einsatz und die kleinen Helden des Alltags finden, aber auch darüber, was alles nicht wirklich toll ist in dieser Welt, und was Niedecken daher - wenn es sich nur lohnen würde - mit einem Gebet versuchen würde zu ändern. Es ist so etwas wie die rebellische Version von John Lennon's "Imagine" - am Ende vielleicht auch der Denkanstoß, sich nicht auf einen Gott oder eine Religion zu verlassen, die alles irgendwann zu einem guten Ende bringen wird, sondern selbst anzufangen, die Welt zu ändern und im kleinen besser zu machen - und sei es nur dadurch, einer Klofrau Respekt entgegenzubringen. In Sachen Musik ist es wieder die klassische Major-Riff-Nummer, die "Paula" dominiert den Song, es rockt, daß es eine Freude ist. Leider ist dieser Song mit dem Abgang von Major Heuser 1999 aus dem Live-Repertoire verschwunden - mittlerweile empfindet Niedecken einen solch fordernden Ton dem "Herrjott" gegenüber unangemessen, nach dem mehr als glimpflichen Ausgang seines Schlaganfalls.

"Eins für Carmen un en Insel" ist eine sommerliche Strand-Stimmung, mit Mandoline und einer Synthi-Hookline musikalisch mit einem Touch von Griechenland und Sirtaki zu einer Mitsing und Mittanz-Nummer verarbeitet. Auch ein Fan-Favorit, der aber mit der darin besungenen Carmen Ende der 80er aus Niedecken's Leben und leider damit auch aus dem Live-Repertoire von BAP verschwand.

"Koot vüür aach" sind die letzten Minuten vor dem Konzert in der Gaderobe - der Moment bevor es draußen auf der Bühne abgehen wird, das Lampenfieber, die Selbstzweifel und der Zwiespalt zwischen Authentizität erhalten und Bühnenshow machen. Einer der Songs, in denen Niedecken sich selbst kritisch in Frage stellt und sein Tun. Zurückhaltend und leise ist auch das musikalische Arrangement mit akustischer Gitarre: Der Text steht im Vordergrund, die Musik will hier nicht ablenken, sondern nur unterstützen. Ein besinnlicher Schluß für ein Album voller Songperlen.

Mit "Vun drinne noh drusse" liefern BAP ihr Meisterwerk ab: Tiefgründige, relevante, kritische wie nachdenkliche Texte verbunden mit jeweils für den Textinhalt, die Message maßgeschneiderter Musik, die entweder kritisch fordernd selbstbewußt und wütend losrockt oder gefühlvoll Stimmungen malt, sei es den Zauber des Augenblicks festzuhalten, sei es die Melancholie und Nachdenklichkeit auch musikalisch umzusetzen. Hier sind Niedecken und Heuser sich noch einig und ergänzen sich perfekt: Hervorragende Musiken für hörens- und lesenswerte Texte. Dieses Album verdrängte direkt nach Erscheinen das Vorgängeralbum "Für usszeschnigge" von Platz 1 der deutschen Hitparade. BAP waren in Deutschland 1982 fast so ein Phänomen wie die Beatles 20 Jahre zuvor in Großbritannien.

Die Remaster Bonus CD enthält auch hier wieder hauptsächlich Live-Tracks, allerdings sind darunter auch die nur auf der Live-LP "Bess demnähx" erschienenen "Weißte noch", "Su'ne Morje" und "Hundertmohl". Die erste Fassung enthält zwar nur 6 Live-Songs, dafür sind diese allerdings fast alle in bisher unveröffentlichten Versionen, während auf der zweiten Fassung ohne Interview bei den 9 Live-Songs auf die auf den Rockpalast DVDs erhältliche Versionen bzw. die Versionen von der "Bess demnähx" zurückgegriffen wurde, die der Fan ohnehin schon hat. Hier bringt die zweite Fassung also deutlich weniger Mehrwert als die erste, die übrigens die letzte mit einem Interview war.

Punkte: 9.5 / 10


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