Noch habe ich zwar außer "Raised On Rock" (dürfte sich auf der Tour mit diversen Klassikern um die Opener-Position in der Setlist kloppen) keinen herausragenden Song für die Gallerie gefunden, aber das Album als Ganzes wächst mit jedem Hören und offenbart keine nennenswerten Schwachstellen. Im Gegenteil, die bekannten individuellen Trademarks der Band stehen stets klar im Vordergrund: Klaus Meine bringt seine fast 62-jährigen (!) unverkennbaren Stimmbänder wie gewohnt zu Hochleistungen, Rudolf Schenker schüttelt stets mannschaftsdienlich Power-Riffs aus dem Handgelenk und Matthias Jabs veredelt die Songs durch seine imposanten aber nie überkandidelten Leads (und darf auch kurz die Talk-Box auspacken). Und dann noch diese großartigen Hooks...
Die obligatorischen Balladen gibt es mit "Lorelei" (erinnert wegen der Keyboards ein wenig an "Send Me An Angel") und "SLY" (bewusste Referenz an einen alten Bandklassiker), wobei beide auf der melancholischen Schiene unterwegs sind. Das gilt auch für das hymnische "The Good Die Young" (feat. Tarja Turunen, im Hintergrund) - beinahe die dritte Ballade. Und nochmals wird es eher zart: der Closer "The Best Is Yet To Come" bringt zum Abschluss rührige und tröstende Worte an die Fans zum Ausdruck (ob sie mit "the Best" die kommende Tour meinen?). Beachtenswert: die in ihrer "schwachen" Phase oft für ihre Medienauftritte belächelten "Weltmänner" greifen mit "Lorelei" das Thema einer deutschen Sagengestalt auf.
Ganz ohne kritische Zwischentöne komme ich jedoch nicht aus: die aus den Credits erkennbare ausgiebige "Fremdhilfe" bei den meisten Tracks (außer dem Titeltrack und "SLY" - beide Schenker/Meine-Kompositionen) gibt einem bei aller Qualität doch zu denken. Bei "Raised On Rock" stammt gar die komplette Musik vom Produzentenduo Andersson / Hansen! Ob die scheinbar nachlassende Kreativität vielleicht auch ein Grund für die Aufgabe ist...?
Insgesamt gilt: Mission erfüllt. Die Scorpions verabschieden sich mit einem Album, dass ganz bewusst und gekonnt den Faden aus den Glanzjahren der Band aufnimmt und als gelungenes vertontes Dankeschön für die Fans den Abschied schwer macht. Ich fühle mich beim Hören wieder ein wenig wie anno 1990, als ich mit "Crazy World" mein erstes Album der Hannoveraner genießen durfte. Inklusive Nostalgiebonus gibt's daher für "Sting In The Tail" herzliche 8,5 Punkte und ein wehmütiges "Danke für Alles und macht's gut im Ruhestand. You will be missed!"
Punkte: 8.5 / 10