Die Musik gefiel mir auch auf Anhieb. Einerseits hart und schnell (thrashig halt, aber den Begriff kannte ich damals noch nicht), andererseits aber auch lustig und mit viel Spaß und Augenzwinkern eingespielt. Die Jungs schienen sich selbst nicht besonders ernst zu nehmen, und das machte sie mir noch sympathischer. Im Laufe der Zeit fanden dann auch alle anderen Alben von ANTHRAX den Weg in meinen CD-Schacht, und ich hörte sie mir auch alle ziemlich gerne und oft an. Ausnahme war das in meinen Ohren schwache „Sound of White Noise“-Album.
Als mein Lieblingsalbum kristallisierte sich mit der Zeit das 1986er Meisterwerk „Among the Living“ heraus. Waren ANTHRAX auf den beiden vorherigen Alben noch etwas ungeschliffener, unvoreingenommener und etwas einfacher an die Sache rangegangen, befanden sie sich 1986 auf dem kreativen Höhepunkt ihrer Karriere. Die Unbekümmertheit der Anfangszeit war noch nicht ganz gewichen, dafür hatte die Band aber deutlich an Professionalität gewonnen und mit Joey Belladonna (voc), Dan Spitz und Scott Ian (git), Frank Bello (b) und Charlie Benante (dr) auch ein richtig tolles Line-up am Start, das allerdings seit 2005 auf peinliche Weise durch Reunion-Live-Shows negative Schlagzeilen machte. Die besten Zeiten von ANTHRAX und dieses Line-Ups sind nun mal leider unwiderruflich vorbei. Aber zurück zu „Among the Living“.
Nach einem Intro geht der Eröffnungs- und Titeltrack gleich mit einem schnellen und sehr guten, eingängigen Riff in die Vollen. „Disease, Disease, We’re spreading the Disease! Power, yes Power” heißt der Text gleich am Anfang, und das ist auch Programm fürs ganze Album. Der Song wartet schon mit allem auf, was das Album zum besten in der Historie von ANTHRAX macht: eingängiges, schnelles Thrash-Riffing, variantenreiche Songs mit Tempowechseln und verschiedenen Breaks, schöne Gitarrensoli sowie der passende Gesang von Joey Belladonna, der in den Refrains mehrstimmig und sehr eingängig rüberkommt. „Among the Living“ ist ein sehr guter Ohrwurm und der perfekte Opener des Albums.
Noch besser wird es mit dem zweiten Song „Caught in a Mosh“. Sehr geile schnelle Riffs der Text belegen, dass ANTHRAX wirklich die Erfinder des Mosh sind. Auch dieser Song ist sehr eingängig, durch verstärkte mehrstimmige Gesänge sehr mitgrölkompatibel, und eignet sich natürlich hervorragend zum moshen.
Als weiteres Highlight auf dem Album entpuppt sich „I Am The Law“. Der auch schon als Single bzw. EP ausgekoppelte Song ist etwas langsamer als die beiden Vorgänger, setzt sich aber ebensogut in den Gehörgängen der Fans fest. Aufgebaut auf einem recht simplen, für ANTHRAX-Verhältnisse ziemliche langsamen Riff, wird das Lied zum Refrain hin immer schneller. Instrumental und gesanglich stimmt hier, wie auch sonst überall auf dem Album, alles.
Das dann folgende „N.F.L.“ ist ein absoluter Höhepunkt in der Geschichte von ANTHRAX. Der Song darf auch heute auf keinem Konzert fehlen, einfach richtig geil zum Moshen und Mitsingen. Sehr gute Gitarrenarbeit trifft auf mitreißenden Gesang. Besser geht es kaum. NFL - Nise Fukin Life!
Song Nummer 5 heißt „A Skeleton in the Closet“ und ist nicht ganz so eingängig und bekannt wie die ersten 4 Lieder. Doch auch hier funktioniert das Rezept von variantenreichem, auf den Punkt gespieltem Thrash-Gitarrenspiel und Gesang, der im Ohr hängenbleibt. Etwas ungewöhnlich sind hier die in die Strophen eingebauten kurzen Gitarrenleads und auch die teilweise ungewöhnlichen Bassspuren.
Mit „Indians“ folgt dann DER ANTHRAX-Hit schlechthin. Sehr schnell, sehr eingängig, super Riffs und der absolute Live-Abräumer. Dazu gibt es nicht viel zu sagen, einfach anhören.
„One World“ finde ich persönlich ziemlich unterbewertet. Das Lied ist in meinen Ohren ziemlich genial, erreicht zwar nicht ganz „Indians“, aber befindet sich zumindest auf einem Niveau mit den ersten vier Songs des Albums. Hart und kompromisslos holzen sich ANTHRAX auch hier durch die Strophen, um dann wieder einen sehr tollen Refrain aus dem Hut zu zaubern, der gerade zu nach einer Live-Umsetzung schreit. Leider entzieht sich meiner Kenntnis, ob das Lied überhaupt mal live gespielt wurde. Sehr geiler Song, was von vielen leider übersehen bzw. überhört wird.
Etwas ruhiger, nämlich mit Akustikgitarren, beginnt dann „A.D.I./Horror of it All“. Nachdem die Band knapp drei Minuten lang instrumental ihr Können gezeigt hat, setzt der Gesang ein. Der Song ist etwas langsamer, und nicht ganz so eingängig wie der Rest des Albums. Gegen Ende gibt es allerdings noch einen thrashig-schnellen Part mit tollem Gitarrensolo, so dass das Lied trotzdem immer noch mehr als gutklassig ist.
Das unter Beteiligung des früheren Bassisten Danny Lilker komponierte „Imitation of Life“ beschließt dann ein fantastisches Thrash-Album. Der Song kommt zunächst etwas langsamer, aber sehr energetisch daher, entwickelt sich dann aber (natürlich) noch zu einer schnellen, amtlichen Thrash-Keule. ANTHRAX machen auch hier keine Gefangenen und runden das Album perfekt ab.
Die Mischung aus der Härte und Unbekümmertheit der Anfangstage sowie der aufkommenden Eingängigkeit und Ordnung in den schnellen Songs sind der Trumpf dieses Albums und machen den Reiz aus. Hier stimmt einfach alles, ANTHRAX waren nie besser und werden auch wohl nie wieder besser sein. Neben der perfekt komponierten und eingespielten passt auch der auf diesem Album sehr gute Gesang von Joey Belladonna ausgezeichnet zur Musik, auch wenn John Bush die wohl etwas variablere und anspruchsvollere Stimme hat. „Among the Living“ ist damit nicht nur das beste Album von ANTHRAX, sondern meiner Meinung nach auch ein großes Highlight in der Geschichte des Thrash-Metal allgemein.
Punkte: 10 / 10