Auf den ersten Blick macht das Cover einem erstmal etwas Angst: eine Frau, offensichtlich gezeichnet und in einer ästhetischen Pose. Ein herber Kontrast zu den bisher abstrusen Covern. Vor allem, wenn gleichzeitig das "Intro: Wahrheit?" läuft, hofft man, dass Eisregen nicht zu irgendwelchen Poeten verkommen sind. Das wäre zu viel Entwicklung! Sobald man aber festgestellt hat, dass diese roten Flüsse aus Blut sind und die ersten Maden auf der Frau entdeckt, ist man dann doch beruhigt, und bestenfalls hat man auch schon, passend zu seiner Ernüchterung, das akkustische Intro von "mein Eichensarg" hinter sich und hört schon die treibenden Gitarren und den bombastischen Sound. Völlig beruhigt lauscht man dann, wie Roth von Misanthropie brüllt und davon, wie er sich selbst bestatten will, da er ja nichts verändern kann, außer sich selbst. Vielleicht sollte man anmerken, dass die Anzahl Liebeslieder mit vergangenen Liebschaften hier unterdurchschnittlich niedrig ist, und der Platz Stücken über Selbstmord freigelassen wurde.
zu "am Glockenseil" muss eigentlich nicht viel gesagt werden. Wer den Kultfilm kennt, wird genau wissen, was hier passiert. Der Soundtrack zum Film mit deutlicher Verspätung.
"Vom Muttermord" ist eine Halbballade, die sich allerdings nach der Hälfte des Stücks verliert. Plötzlich klingt es, als ob Eisregen keine Ahnung mehr hatten, wie sie weiterspielen sollen und mit allen Mitteln die Lyrics begleiten mussten.
"Blutgeil" hingegen kommt an das Niveau von "mein Eichensarg" heran. Frisch und energisch treibt das Stück nach vorne und zeigt Misanthropie auch mal mit etwas guter Laune.
Auf "Ripper von Rostow" wird eine nette Geschichte erzählt, insgesamt klingt das Stück wie Debauchery mit deutschen Lyrics.
"Hinein ins Tränenmeer" handelt von einem Frauenmörder, der offensichtlich mit den Nerven am Ende ist, (logisch, er bringt Menschen um!) die Frauen sind hauptsächlich seine Exfreundinnen. (teils mit Beziehungszeit von ca. 1 Stunde) Die Bratsche dominiert in diesem Stück und sorgt für eine bedrückende Stimmung. Als ich dann die Lyrics komplett verstand, (nach dem 3., 4. Durchlauf) musste ich lachen! Was für eine Verschwendung, so eine ernste Atmosphäre zu so einem lächerlichen Text zu schaffen!
Dafür macht es "Glas" wieder gut. Ein gutes Zusammenspiel von rockigen Gitarrenriffs und Bratsche. Nicht nur ist das Stück sehr eingängig, auch die Lyrics sind (vergleichsweise) etwas tiefgründiger. Eine schöne Abwechslung zu den sonst immer blutigen Texten.
"Was vom Leben übrig bleibt" ist Eisregens zweite Suizidhymne. Schön groovig begleiten wir Blutkehle Roth durch die Nacht, in der er die Geschichte, die er in "...Und sie blutete den ganzen Sommer lang" (auf "Leichenlager") begann, nun einsam fortzusetzen. Im Refrain kommt richtig Energie auf, die aber dann im eintönigen Restteil wieder verloren geht. Das Stück ist nicht schlecht, allerdings auch nicht wirklich gut genug, um hinterher im Gedächtnis zu bleiben.
Eines der absoluten Highlights bildet die aggressive "Kreuznarbe". Thrash Metal mit Gebrüll und einer Geschichte aus der Sicht eines von der Inquisition Gefangenen. An die detailreichen Folterszenen sollte man sich bei Eisregen mittlerweile gewöhnt haben. Generell denke ich, dass der gemeine Eisregen Fan nach fünf Alben Blood, Gore und makabrer Liebe das ganze Zeug nicht mehr so schockt, wie wenn man das erste mal Eisregen hört. Vielmehr sind immer kleine Passagen in den Lyrics von Eisregen so faszinierend, so auch hier, wo der Gefangene am Ende seines Lebens die Existenz Gottes und Satans in Frage stellt, da ihm, dem sein Leben lang frommen Menschen, keiner der Beiden zu Hilfe kommt.
Das Beste kommt zum Schluss, und so hat man im Titeltrack alles beisammen, was mir an Eisregen so gefällt: durchgehende Atmosphäre, (mehr oder weniger) tiefgründige Lyrics und ein gutes Zusammenspiel zwischen Gitarre und Bratsche. Sogar was die Liebe zu seiner Nächsten angeht, sind Eisregen wieder kreativ gewesen, und so handelt es sich diesmal um einen Liebhaber, der seine Geliebte verewigen will indem er sie auf ewig in einem Gemälde verewigt. Wo er die Farben herhat, kann man dem Cover entnehmen. Musikalisch auf jeden Fall ein großartiger Abschluss, die paar Sekunden von "Outro: Ende?" hätten sich Eisregen aber sparen können.
Das Album ist nicht nur das letzte gänzlich Annehmbare von Eisregen, sondern auch das letzte mit Trenks, soll heißen, dass man auf "Wundwasser" zum letzten mal die Bratsche hört und sie nur noch auf der EP "Hexenhaus" dabei ist. Doch zurück zu "Wundwasser". Dieses ist das erste Album, auf dem reiner Klargesang zu hören ist. Bisher waren Stellen, an denen klar gesungen wurde, mit Growls vermischt worden (oder andersherum). Auch ist es das erste Album, das einen wirklich klaren Sound hat. Wenn man bedenkt, dass der Aufnahmesound auf den letzten Alben zwar dürftig war, dafür aber einiges zur Horroratmosphäre beigetragen hat, so ist es denke ich verständlich, dass die Stücke hier wegen dem klaren Sound eher rockig klingen. Zusätzlich sind auch die Lyrics, bis auf die des Titelsongs, nicht mehr so explizit und deutlich harmloser, als auf den vorherigen Alben. So ist "Wundwasser" das Album, das einerseits der Abschied von den ehemaligen Eisregen, die wir bis "Farbenfinsternis" kennen und lieben gelernt haben (deutlich an Stücken wie "hinein in's Tränenmeer", "am Glockenseil" und "Kreuznarbe"), andererseits der Wegbereiter einer neuen Ära der Band ("Glas", "Blutgeil").
Ob man jetzt Eisregen mag oder nicht, das Album ist dennoch großartig und auch an die Lyrics wird man sich gewöhnen, sollte man von Eisregen nichts kennen. Die Abwechslung hat hier zwar sehr nachgelassen, ist aber verzeihlich, da die Stücke noch immer eingängig sind und man für's erste alles andere als gelangweilt wird.
Punkte: 8.5 / 10