Wer hier eine Scheibe wie Ruun oder Isa erwartet hat, wird es sicherlich schwer mit Vertebrae haben.
Nach dem ersten Durchlauf fällt sofort die sehr trockene, dennoch saubere und lebhafte Produktion auf, das Schlagzeug klingt verdammt noch mal natürlich, eine Seltenheit im heutigen Extrem Metal Bereich, lebendig und natürlich.
Noch stärker fällt der Gitarrensound ins Gewicht, nicht unbedingt druckvoll und fett, dafür kantig, erdig und verdammt noch mal lebendig, knarzig und teilweise auch extrem trocken, kurz: dieser Gitarrensound ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden Digital-Sound-Fetischisten.
Der Sound ist ganz klar das große Plus dieser Scheibe, fantastisch, endlich wieder so einen authentischen „altmodischen“ Sound einzufangen der es vermag die musikalische Genialität von Enslaved wie auf keinem anderem Album der Norweger zu präsentieren.
Kein Instrument steht im Vordergrund, alleine die Musik zählt und eben diese ist einfach einzigartig in der derzeitigen Heavy Metal Szene.
Passend dazu gibt es einzigartige Riffs die sofort zünden und dennoch hochkomplex sind.
Enslaved sind erwachsen geworden, viele Fans der älteren Alben wollen dies immer noch nicht wahr haben, die Zeiten von Frost und Eld sind schon lange vorbei, Enslaved haben sich zu begnadete Songwriter entwickelt und liefern Kopfmusik ab die mehr benötigt als ein paar Flaschen Bier und stupide Intoleranz.
Unglaublich wie sich Enslaved in meinen Augen zu einer der hoffnungsvollsten und packendsten Heavy Metal Band entwickelt hat, auch wenn Vertebrae mit reiner Heavy Metal Musik nicht mehr viel zu tun.
Bekam man auf Ruun oder auch auf Isa noch vereinzelt brachiales Riffgewitter und Highspeed Songs geboten, natürlich auf einem Niveau das wohl kaum eine Metal Band in diesem Genre zur Zeit zu bieten hat, so taucht man auf Vertebrae in eine Welt ab die nur den großen Rock Bands vorbehalten ist.
Überall hört man Zitate aus den 70ern, man rückt die Hammondorgel noch mehr in den Mittelpunkt, die Akustikpassagen sind noch ausgefeilter, es gibt noch ergreifendere Solis zu bestaunen, die Songstrukturen sind noch kreativer und der Klargesang nimmt mehr Platz ein als Grutles angenehm, kratziger Gesang, und ja, es funktioniert!
Keyboarder Herbrand Larsen drückt mit seinem Klargesang der Scheibe seinen ganz persönlichen Stempel auf.
Was Opeth auf Ghost Reveries und ihrem aktuellem Werk Watershed in meinen Ohren nicht ganz geschafft haben, packende und mitreißende Songs zu schreiben die niemals langweilig werden, haben Enslaved mit einer Inbrunst auf Vertebrae verewigt.
Alleine der Song „Ground“ mit seinem Pink Floyd–Gedächtnis-Solo und der monströsen Prog Rock-Riffkreation ist Musik die zuletzt von Bands wie Psychotic Waltz kreiert wurde und das ist auch schon fast 20 Jahre her.
Gitarrentechnisch lebt die Scheibe von Ivars einzigartigen Riffs und Melodien und natürlich von Arves dezenten, niemals übertriebenen und aufdringlichen Solis, die mehr vermitteln als die ganzen Dream Theater Eskapaden der letzten 10 Jahre.
Musik zum verlieben, träumen, nachdenken, ergreifend, monströs, wachrüttelnd, innovativ und mit einer Hingabe gespielt die da ansetzt wo King Crimson, Genesis, Yes, VdGG, Deep Purple, Led Zeppelin, Pink Floyd, The Beatles und Rush aufgehört haben Grenzen zu verschieben.
Enslaved führen das Erbe von Emperor und Arcturus in einem noch perfekteren Stil weiter, ein Stil der zurzeit einzigartig in der harten Rockmusik ist.
Man kann es aber auch in zwei Worten sagen:
Enslaved = Black Floyd.
Punkte: 9 / 10