Erst mit der radikalen Methode, konnte ich das Album einigermaßen in meinen Schädel prügeln - “radikal” heißt in dem Fall: einmal aufmerksam hören, dreimal im Hintergrund laufen lassen, drei Tage warten, nochmal aufmerksam hören und nochmal mehrfach im Hintergrund laufen lassen. Das hat tatsächlich dabei geholfen, dass sich mir “Renewal” so einigermaßen erschlossen hat. Aber wo genau ist eigentlich das Problem? Das fängt irgendwie schon beim Cover an, geht bei der Produktion weiter und endet beim Songwriting an sich. Das Cover ist natürlich das geringste Problem, aber ernsthaft: was soll mir das sagen? Der Sound ist aus welchen Gründen auch immer schlechter als er sein müsste. Vielleicht wollte man besonders “Edgy” sein, aber die Ecken und Kanten hier klingen eher erzwungen - im Gegensatz zum Beispiel zu den schrammeligen 80’er Alben. Im Ergebnis klingt das Schlagzeug seltsam dumpf und die Vocals von Mille… seltsam. Es sind nicht die cleanen Vocals, wie wir sie von “Endorama” oder teilweise “Outcast” kennen, aber auch nicht die eher einzigartige Stimme, die wir sonst kennen. Stellt euch vor, die Band steht am Ende einer langen Tour und auf dem letzten Konzert sind die Stimmbänder von Mille einigermaßen am Arsch und alle wollen nur noch schnell irgendwie fertig werden und nach Hause - so ungefähr klingt “Renewal”.
Damit das ganze auch besonders nicht Mainstream ist, sind die Songs dazu so gehalten, dass sie möglichst schwer zu greifende Strukturen mit vielen Tempowechseln haben, damit man ja schlecht reinkommt. Keine Ahnung, wo man das genretechnich einordnen würde. Recht viel Thrash ist durchaus noch vorhanden, zumindest was die Aggressivität angeht. Vom Tempo her eher nicht, da dieses wie gesagt auch gerne mal unvermittelt gedrosselt wird. Hier und da klingt das ganze recht punkig (was Sodom um die Zeit allerdings etwas besser hinbekommen haben) und durch die eher merkwürdigen Songstrukturen würde ich von mir aus auch progressive Metal sagen. Interessant ist auch die kurze Laufzeit von unter 40 Minuten, die sich aber nicht aus kurzen, sondern eher aus wenigen Songs ergibt, die aber gerne mal die 5 Minuten Marke knacken.
Los geht's mit “Winter Martyrium”, welches sich schonmal sehr viel Zeit dabei lässt, zur Sache zu kommen. Ein sehr typischer “Renewal” Song. Wenn ihr ihn also mögt: herzlichen Glückwunsch. Ich brauchte mehrere Durchläufe, bis überhaupt was hängen geblieben ist. Langfristig vielleicht einer der Songs auf “Renewal”, die am meisten von mehrfachen Hören profitieren, denn wenn man sich erstmal an den Sound gewöhnt, die Riffs verinnerlicht und die Tempowechsel im Gedächtnis hat, geht's eigentlich. Der Titelsong “Renewal” ist dagegen vergleichsweise zugänglich und wesentlich mehr straight forward. Bis auf die Tatsache, dass er insgesamt eher langsam daher kommt eigentlich gar keine so große Abweichung zu dem, was Kreator vorher so gemacht haben.
Exotischer wird es dagegen wieder mit “Reflection” und seinem geflüsterten Intro und den psychedelischen Gitarren. Damals hatte das noch einen gewissen Neuigkeitswert, klang dafür aber recht krude. Hört euch mal “Death Becomes My Light” auf dem aktuellen “Gods Of Violence”, wenn ihr wissen wollt, wie so ein härterer Übergang von seichtem Intro zum eigentlichen Song mit etwas mehr Übung geht. Ansonsten muss jeder selbst wissen, ob das jetzt cool ist, wenn mitten im Song eine fast schon doomig langsame Passage auftaucht und Mille dann “REFLECTION OF REBIRTH!!!” reinbrüllt. “Brainseed” trifft meinen Geschmack wieder etwas mehr, schon alleine dadurch, dass er angenehm schnell daher kommt. Thrash-Puristen werden vielleicht durch ein paar Industrialeinflüsse abgeschreckt, was mich aber eher weniger stört.
Auch “Karmic Wheel” kann mich überzeugen. Um das nochmal klar zu stellen: ich mag auch langsame Songs - von mir aus auch im Thrash Metal. Allerdings kommt es auf die Umsetzung an und “Karmic Wheel” trifft es mit seinen Tempowechseln, der sehr ruhigen Passage gegen Ende und der Länge von über 6 Minuten endlich so, dass ich mir das ganze nicht 10 mal anhören muss, um was davon zu haben. Komplett Panne ist dagegen der “Song” “Realitätskontrolle”. Das Ding wäre selbst als Intro auf ‘nem mittelmäßigen Industrialalbum grenzwertig, aber einfach irgendwelche Industrialgeräusche scheinbar willkürlich aneinander zu reihen, das Ergebnis für gut zu befinden, es irgendwo auf das Album zu rotzen und daran nichts auszusetzen zu haben ist schon echt hart.
“Zero To None” kann leider auch nicht wirklich punkten. Es ist jetzt nicht direkt kacke, aber leider komplett langweilig und auch nach sehr häufigem Hören bleibt bei mir nichts hängen. Tja, schätze auch so abstruse Experimente wie “Renewal” sind vor gemeinen Fillern nicht gefeit. Das vielleicht punkigste Stück “Europe After The Rain” hatte ich sogar durch die Live-Version auf “Past Life Trauma noch einigermaßen gut im Kopf. Insgesamt nicht schlecht und wieder einer der Songs, der von genau dem Stil des Albums profitiert und woanders so gar nicht möglich gewesen wäre. Bleibt noch “Depression Unrest”, welches wieder sehr ruhig anfängt und dann aber ohne große Umschweife zum Recht typischen “Renewal” Song mutiert. Vielleicht noch ganz interessant für alle, die hier verzweifelt nach etwas melodischem suchen.
Damit hätte ich “Renewal” dann auch durch und was bleibt ist kein leichtes Album, welches aber tatsächlich besser wird, je öfter man es hört. Klar muss man es auch mal im damaligen Kontext betrachten: wenn jetzt gerade das Jahr 1992 wäre, ich alles, was Kreator vorher gemacht haben bereits auswendig kennen würde und “Renewal” gerade das neueste Material ist, ich vielleicht bei der Tour dabei gewesen wäre und das Ding von Anfang an rauf und runter gehört hätte, dann hätte ich natürlich einen ganz anderen Zugang. So ist es eher in Arbeit ausgeartet. Ich mag ja eigentlich Alben, die ihr volles Potential erst im Laufe der Zeit entfalten, aber wenn ich das Ding fast auswendig kennen muss und zwar nicht um noch irgendwelche interessanten Details zu entdecken, die mir vorher nicht aufgefallen sind, sondern einfach nur, um mich an die eher eigenwilligen Songs zu gewöhnen, dann ist das nicht das, was ich mir vorgestellt habe.
Schlecht ist “Renewal” aber auch auf keinen Fall. Gerade der Titelsong und “Karmic Wheel” funktionieren für mich direkt und ohne Umschweife und “Brainseed” oder “Winter Martyrium” habe ich mir erfolgreich schön gehört. Trotzdem wird es innerhalb der Kreator Diskographie wohl immer das Album sein, bei welchem ich die größte Hemmschwelle habe. Im Endergebnis ist das nicht wirklich gut, nicht wirklich schlecht, sondern genau die Mitte. Kann ich mir theoretisch anhören, aber muss auch nicht sein, wenn Kreator so viel besseres am Start haben.
Punkte: 5 / 10